Matthias Becker

Ein Bombenbastler in der Chemiefabrik

Von der Polizei über den BASF-Werksschutz zur SS: die nicht so ungewöhnliche Karriere des Theodor Eicke

Einer der wichtigsten Pfälzer Nazis während der Weimarer Republik und dem „Dritten Reich“ war der Polizist Theodor Eicke, ein schönes und lehrreiches Beispiel, wie man in diesem Land Karriere machen kann.

Streik!

Um das zu erleben, müssen wir zurück ins Jahr 1924: Im März dieses Jahres wird in der BASF eine neue Arbeitszeit angeordnet: Der Konzern will jetzt neun Stunden arbeiten lassen, ein dreister Angriff auf eine der letzten Errungenschaften der Novemberrevolution, den Achtstundentag. Am ersten Tag verlässt ein Viertel der ArbeiterInnen nach acht Stunden den Betrieb, am zweiten Tag die Hälfte. Am dritten Tag gehen 80% der Belegschaft. Die Direktion beschließt am Abend des 5. März, alle Arbeiter der Frühschicht des nächsten Tages auszusperren. Viele Beschäftigte kamen am nächsten Morgen ahnungslos vor das Werkstor. Was sie erlebten, schildert der Augenzeuge Erich Steffen, Arbeiter in der BASF, folgendermaßen:

„Mir gegenüber ist das breite hohe Tor verschlossen, Tausende stehen hier bis dicht an die Wände des verriegelten Eingangs. Es ist fast acht Uhr geworden, da, mit einem Mal, bewegen sich die gewaltigen Flügeltüren und gehen langsam nach innen auf. (…)

Kaum 50 Meter vom Tor entfernt, dem Eingang gegenüber, stehen Menschen - Menschen in Uniform - Polizei! Ganz automatisch fällt einem ein, diese sind von der Wache, das Wachgebäude liegt noch auf dem Gelände der BASF und hat einen Eingang zum Werk. Ja, aber was will die Polizei im Werk? Im Bruchteil von Sekunden gehen tausend Gedanken durch den Kopf, ich will zählen, wie viele es sind, da plötzlich ein irrsinniger Schrei - aus der Masse kommt dieser Ruf - die haben ja den Revolver in der Hand!

Die Masse kommt in Bewegung, das Tor ist durch Geisterhände ganz weit geöffnet, und doch geht keiner einen Schritt vorwärts.

Ein Feuerschein springt auf und ehe das Ohr den Schrei erfasst, rast ein Schrei los, eine Salve kracht, die Massen sprengen auseinander. Sie fallen, schreien, drängen nur fort, der Tod springt in die Leiber. Ganz frei ist der Platz jetzt auch diesseits vor dem Tor, aber auf dem Boden liegen Proleten auf dem Pflaster, auf dem Rücken den Rucksack, die Kaffeeflasche zum Greifen nah. (…)

Noch niemals sah ich einen so vielfachen heimtückischeren Mord, wie diesen hier. Die empörten Arbeiter ließen sich nicht mehr halten. Die Menge drängt zum Tor hinein in den Hof und immer weiter vor. Wie wild feuerten die Polizeibeamten. Zwei Tote, acht Verwundete lagen vor den Toren der Anilin. Die Revolver waren leergeschossen und die Reservemunition ging zu Ende. Jetzt hätte es eine Abrechnung gegeben, wie sie allein das Proletariat ausüben kann.

Da nahten die „Retter“. Die Polizeiwache hatte sich hilfesuchend an die Franzosen gewandt, die sofort Truppen entsandten.“

Liegen bleiben fünf tote Arbeiter, die Beerdigung mit 25.000 Arbeitern wird zur Demonstration gegen BASF und Polizei. (Die Franzosen hatte sich bereits 1923, beim Aufstand der Ludwigshafener Erwerbslosenbewegung, als Rettung der lokalen Machthaber erwiesen.)

Zum Zeitpunkt des Massakers war Theodor Eicke Angestellter beim Werkschutz, später bei der Spionageabwehr der BASF. 1923 wechselte er von der Ludwigshafener Polizei zur BASF (sozusagen befördert), jetzt konnte er sich bewähren. Er denunzierte zahlreiche „Rädelsführer“ des Streiks, die prompt entlassen werden. Nun beginnt sein unaufhaltsamer Aufstieg, bis 1932 hat er es zum stellvertretenden Leiter des Werkssicherheitsdienstes der BASF gebracht. Die heißt mittlerweile IG-Farben Ludwigshafen. Aber dann muss er leider entlassen werden, denn Eicke tut nach Feierabend seltsame Dinge. 1928 ist er in die Partei eingetreten, kommt 1930 zur SS und wird ein Jahr später Führer der Sturmstaffel 147 in Ludwigshafen.

Rechtsextremer Terrorist

Theodor Eicke

geboren am 17.10.1892 in Hampont (Lothringen)

Seit 1921 in Ludwigshafen; zunächst Polizei, dann Werkschutz und Spionageabwehr der BASF

1928 Parteieintritt

1931 Staffelführer der SS

1933 Kommandant des KZ Dachau

1934 Inspektor aller deutschen KZ

1939 Kommandant der SS-Totenkopfdivision

1942 General der Waffen-SS

26.2.1943 in Russland gefallen

1931 gibt Gauleiter Bürckel ihm und dem SS-Führer Berni den Befehl, Sprengstoff zu besorgen und Bomben herzustellen, auch die pfälzische SA sollte ähnliche Vorkehrungen treffen. Die Faschisten bereiteten sich auf einen erwarteten Bürgerkrieg gegen die KPD vor, denn sie rechneten mit der baldigen Machtübernahme. (Die kam ja auch, nur der Bürgerkrieg leider nicht.) Eicke selbst stellte die Bomben her, insgesamt 80 Sprengkörper. Das Material dazu wurde aus dem Bau 99 der IG Farben Oppau beschafft, wo er sich auf die Hilfe einer Reihe von Parteimitgliedern stützen konnte: Wilhelm Witter (später Kreisleiter der NSDAP Ludwigshafen) war Betriebsführer in diesem Bau, Kemmet (Adjutant der 10. SS-Standarte) war der Schichtmeister., hinzu kamen mehrere Werksmeister des Baus, zum Beispiel Adolf Roth (später Stadtrat von Ludwigshafen).

Die Verschwörung wurde vorzeitig aufgedeckt, nachdem rivalisierende Fraktionen der NSDAP Pirmasens in der Nacht des 21. Juni 1931 eine Bombe zündeten. SS-Führer Berni wurde verhaftet, Eicke blieb bis zum 6. März 1932 unentdeckt. Die Bomben wurden bei einer Durchsuchung seiner Wohnung entdeckt.

Zu seinem Glück gibt es die deutsche Justiz: er wurde im Juli 1932 wegen Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, wegen angeblicher Nervenstörung aber für haftunfähig erklärt und für sechs Wochen auf freien Fuß gesetzt. Eicke nutzte dieses Entgegenkommen des Staatsanwaltes und setzte sich nach Italien ab, wo die Mussolini-Faschisten schon an der Macht waren.

Die Beziehung zu seinem Gauleiter war schon vorher keineswegs ungetrübt, auch wegen der üblichen Konkurrenz zwischen SA und SS. (Die SS war bis 1934 formal der SA unterstellt, während dem „Röhm-Putsch“ konnte sie sich durch die Ausschaltung der störenden Proleten in der SA profilieren. Erst später wurde sie zu einer Art Elitetruppe, zu der auch adlige und großbürgerliche Faschisten gehören wollten.) Nun war die Parteisolidarität ganz am Ende; Eicke vermutete, Bürckel habe ihn an die Polizei verraten, um einen lästigen Gegner loszuwerden.

In seinen Briefen aus Italien kündigte er seine baldige Rückkehr und ein großes Aufräumen an: „Es wird sich noch mancher wundern über die Generalreinigung, die in absehbarer Zeit einsetzen wird. Vielleicht bleibt dann mancher an seiner eigenen Fangschnur hängen. Haben die Schweine nicht mehr den Mut, offen zu bekennen, dass der Bombenfabrikant E. nach wie vor der Partei angehört, dann sollen sie sich nicht Nationalsozialisten nennen. Wenn ich nach Hause komme, und das geschieht recht bald, werde ich sofort wieder die Produktion dieser netten Dingerchen aufnehmen… Sie sind aber nicht alle für den roten Laden, sondern auch für die Schweine in den eigenen Reihen bestimmt.“

„Mancher“ Gauleiter wird sich also wenig über Eickes Rückkehr im Februar 1933 gefreut haben, er beantragte sogar Polizeischutz. Mit Recht, denn Eicke startete schon nach zwei Wochen einen Putschversuch gegen die Aniliner Akademiker, die mittlerweile fast sämtliche Posten in der NSDAP und der Stadtverwaltung besetzt hatten. Deren Politik der Säuberung waren Eickel und seinem SS-Anhang zu vorsichtig, wörtlich: „Nach unserer Ansicht müsste mal gehengt (sic!), und weniger mit Glacéhandschuhen zugegriffen werden.“ Als sich Eickes ehemaliger Mitverschwörer Wittwer, einer eben dieser IG-Nazis, mit wegzusäubernden Personen im Gebäude der Zeitung Pfälzische Post befindet, ließ Eicke das Haus von SS-Verbänden umstellen und nahm Wittwer in Schutzhaft. Er kam nicht mehr dazu, offene Rechnungen zu begleichen, denn Gauleiter Bürckel alarmierte die Polizei, die das Gebäude unter Einsatz von Tränengas stürmte und Eicke verhaftete. Eine Menschenmenge Ludwigshafener sah angeblich „hohnlächelnd dem Abtransport zu!“

Karriere im 3. Reich

Eicke wurde in eine psychiatrische Klinik nach Würzburg abgeschoben, alle anderen beteiligten gingen straffrei aus. Aber schon nach drei Monaten war Eicke wieder im Dienst, als Kommandant des KZ Dachau. Himmler ernannte ihn zum „SS-Kommandanten zur besonderen Verwendung“, später sogar zum Inspektor aller deutschen Konzentrationslager. Vorher musste er sich aber bewähren, auf Befehl Himmlers erschoss er seinen alten Freund Ernst Röhm in Stadelheim.

Er trug wesentlich zur Errichtung und zum Ausbau der Lager Buchenwald und Sachsenhausen bei, dort führte er die mörderische „Lagerordnung“ ein. In der Einleitung dazu lässt er seinem Sadismus freien Lauf: „Den politisierenden Hetzern und intellektuellen Wühlern gleich welcher Richtung aber sei gesagt: Hütet euch, dass man euch nicht erwischt, man wird euch sonst an den Hälsen greifen und zum Schweigen bringen. Hier im Konzentrationslager wird jedem Gefangen Gelegenheit geboten, seine innere Einstellung zugunsten einer Volksgemeinschaft auf nationaler Grundlage zu ändern, oder (…) zu sterben.“

1942 wurde er General der Waffen-SS, im Februar 1943 an der russischen Front von der Roten Armee bei einem Aufklärungsflug abgeschossen.