Wilhelm Hasselmann

Zum Gesetzentwurf gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie

9. Sitzung des Reichstages am Donnerstag, den 10. Oktober 1878

Die Ächtung der Sozialdemokratie ist im gegenwärtigen Augenblick bereits ausgesprochen, der Polizeistaat wird jetzt die Stelle der bisherigen Zustände einnehmen, der Absolutismus wird sich offen und klar jedermann kund tun, wir haben diese Tatsachen längst erwartet, denn es wird im gegenwärtigen Augenblick in Deutschland lediglich das wiederholt, was in einer anderen Großmacht, in Frankreich, nach blutigen Ereignissen in früheren Jahren bereits durchgeführt worden ist. Man will eben die große Masse des Volks ächten, um ihren gerechten Bestrebungen entgegenzutreten. Nun, der Handschuh ist uns hingeworfen, wir nehmen ihn auf; der Kampf ist eröffnet, wir werden ihn durchführen mit aller Energie und uns durchaus durch nichts abschrecken lassen. Bis jetzt, meine Herren, haben Sie in Deutschland weiter nichts erlebt, als eine durchaus friedliche, ruhige Agitation. Sie wollen diese nicht haben. Was daraus in der Zukunft erwachsen möge, nun, meine Herren, das können Sie sich selbst zuschreiben. (Hört, hört! rechts)

Wenn man von Seiten der Regierungen wünscht, dass es zu Gewalttätigkeiten kommen – und es sind schon einige Ereignisse vorausgegangen, die es sehr klar erscheinen lassen, dass man einen solchen Wunsch hegt -, (oh!) nun, dann möge das Blut auf jenen Kopf kommen, der verschuldet, dass es vergossen wird.

Wir haben in diesem Gesetz übrigens nichts weiter vor uns, als eine sklavische Nachahmung der Taktik, die Napoleon III. in Frankreich durchgeführt hat; sie besteht in Ausnahmegesetzen, welche dort bei wiederholten Gelegenheiten ergangen sind, übrigens immer nur dann, wenn tiefgreifendere Ereignisse eingetreten waren, als wie es in Deutschland der Fall war; hier hat man die Gelegenheit gewissermaßen bei den Haaren herbeigezogen. Bis heute sind uns bekanntlich die Akten im Prozesse Nobiling noch nicht vorgelegt worden; vielleicht wird man sie veröffentlichen, wenn dies Gesetz angenommen ist, und wird dann die öffentliche Meinung zu ihrem Erstaunen erfahren, dass eben jene Behauptungen, die jetzt zur Begründung der Sozialistenverfolgung ausgesprochen werden, nichts weiter wie eine Spiegelfechterei gewesen sind.

Nun, wie dem sein möge, unter allen Umständen wird die Sozialdemokratie wissen, was sie zu tun hat. Sie geht diesem Gesetz entgegen, ohne es irgendwie zu fürchten. Die Sozialdemokraten wissen sehr gut, dass eine Idee sich nicht vernichten lässt, sie wissen allerdings ebenso wohl, dass diejenigen ihrer Genossen, die in vorderster Linie auf der Bresche stehen, den ersten Angriff auszuhalten haben werden und in ihrer Existenz vielleicht auch in ihrem Leben, der Vernichtung preisgegeben sein werden. Diese Genossen sind aber bereit, solche Opfer zu bringen, und sie vertrauen darauf, dass die Masse des Volks, wenn sie die Idee der Sozialdemokratie in sich aufnimmt, freudig bereit sein wird, dieselbe zu unterstützen, dass an die Stelle jedes, der in diesem Kampfe fällt, jedes, dessen Existenz vernichtet wird, sofort zehn andere voll Begeisterung auf die Bresche treten werden.

Der §1 des Gesetzes, welcher gegenwärtig zur Diskussion steht, zeigt klar, dass man durchaus nicht im Stande ist, an den Institutionen eines sogenannten Rechtsstaats festzuhalten, sondern dass man die Maske des Rechtsstaats fernerhin ganz fallen lassen will. Es heißt dort:

Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken, … sollen verboten werden.

Nehmen wir dies wörtlich, so hat man bereits einen Paragraphen im Strafgesetzbuch, welcher solches verbreitet, und das ist der Paragraph, welcher vom Hochverrat handelt. Wenn, um die Staatsordnung, also die verfassungsmäßigen Grundeinrichtungen des deutschen Reichs, „umzustürzen“, Vereine gegründet oder Mannschaften angeworben würden, dann fiele bereits diese Tätigkeit unter den Begriff des Hochverrats. Es geht hieraus hervor, dass man nicht die dem Wortlaut des §1 entsprechende Tätigkeit treffen will, sondern dass man diesen Ausdruck bloß zu einer Verschönerung des „Igels“ gebraucht, der absolut hinabgeschlagen werden soll, dass man etwas anderes treffen will, nämlich jede Bestrebung der Arbeiter, die auf deren Emanzipation von dem heutigen Druck hinführt. Der Beweis dafür ist in den Motiven zur Genüge gegeben. Wir ersehen aus dem Gesetzentwurf, dass man nicht etwa richterlichem Urteile es unterstellen will, ob irgend eine Vereinigung „gegen die Grundsäulen des Staats und der Gesellschaft umstürzlerisch vorgegangen sei“, sondern dass man eine gemischte Kommission zusammensetzen will, die nach Gutdünken den einen vernichten, den anderen laufen lassen wird.

Die beste Beleuchtung dessen, was beabsichtigt wird, ergibt sich aber daraus, dass offenbar weder die verbündeten Regierungen, noch vor allen Dingen der Herr Reichskanzler, selbst genau zu wissen scheinen, was unter Sozialdemokratie zu verstehen sei. Denn in demselben Augenblick, wo ein Gesetzentwurf eingebracht und begründet worden ist zur Vernichtung der Sozialdemokratie, hat uns der Herr Reichskanzler zwei sozialdemokratische Reden gehalten. Die Ausführungen, welche derselbe gemacht hat, subsumieren vollständig unter den Begriff der Sozialdemokratie, allerdings einer sehr gouvernemental gefärbten Sozialdemokratie. Ich kann Ihnen dieses hier aus einem Vergleich der Reden mit den Motiven der Regierungsvorlage nachweisen. Um die Anhaltspunkte für künftige Handhabung des Gesetzes zu geben, gewissermaßen um Präzedenzfälle vorzuführen, welchen zufolge gegen Vereinigungen eingeschritten werden soll, sind in den Motiven verschiedene sozialistische Programme zitiert worden. Unter diesen Programmen befindet sich das Statut des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Es lautet folgendermaßen:

Unter dem Namen „Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein“ begründen die Unterzeichneten für die deutschen Bundesstaaten einen Verein, welcher, von der Überzeugung ausgehend, dass nur durch das allgemeine und gleiche Wahlrecht eine genügende Vertretung der sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes und eine wahrhafte Beseitigung der Klassengegensätze in der Gesellschaft herbeigeführt werden kann, den Zweck verfolgt, auf friedlichem und legalem Wege, insbesondere durch das Gewinnen der öffentliche Überzeugung, für die Herstellung des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechts zu wirken.

Nun, meine Herren, dieses Programm ist in den Motiven hingestellt worden als eine „Staat und Gesellschaft umstürzende“ Tätigkeit der Sozialdemokratie. Doch was haben wir den Reden des Fürsten Bismarck zu entnehmen? Einmal, dass er sich selbst für das allgemeine Wahlrecht ausgesprochen hat; dann, dass er sich auf den Boden der Produktivassoziationen gestellt hat; dann, dass er es für nicht unvernünftig erklärt hat, eine Staatshilfe im großen Maße an solche Produktivassoziationen auszugeben; und schließlich, dass er erklärt hat, jede Unterstützung der Arbeiter in diesem und ähnlichem Sinn werde von ihm Billigung und Förderung erlangen. Einerseits wird also dasjenige als eine Bestrebung, die unter allen Umständen geächtet werden soll, hingestellt, was andererseits uns hier vom Fürsten Bismarck selbst als sein persönliche Intention, als sein Ideal vorgeführt wird! Wer das in Einklang bringen kann, nun der muss eine eigentümlich Logik besitzen. Mir scheint folgendes daraus hervorzugehen. Gegenwärtig, wo durch Ausnahmegesetze nicht bloß die Sozialdemokratie, sondern die gesamte Arbeiterklasse getroffen werden soll, werden, um dieses Ausnahmegesetz, dieses Klassengesetz, den Arbeitern nicht allzu gehässig erscheinen zu lassen, die schönsten Reden über Linderung des Arbeiterelends vom Bundesratstisch aus in agitatorischer Weise gehalten. Aber ich glaube, dieser Zweck wird durchaus verfehlt werden, die Arbeiter werden wissen, was sie von einem solche süßen Flötengetön zu halten haben. Wenn auf der einen Seite die Peitsche gezeigt wird und auf der anderen Seite das Zuckerbrot, dann sind unsere deutschen Arbeiter wahrlich keine Hunde, die nun kuschen und nach dem Zuckerbrot springen; sie sind Männer, die ihre Ehre haben und ihre Menschenwürde zu wahren verstehen.

Ich will hier näher auf die Behauptungen des Fürsten Bismarck eingehen, damit keinerlei Irrtum entstehen kann.

Der Fürst Bismarck hat Lassalle einen Monarchisten genannt und ferner behauptet, derselbe sei kein Sozialdemokrat gewesen. Nun, meine Herren, ich gehöre zu den ältesten Anhängern von Ferdinand Lassalle und bekenne mich auch heute als Lassalleaner. Aber nimmermehr würde ich ein Lassalleaner sein, wenn das richtig wäre, was dort der Fürst Bismarck erklärt hat. Ich bin ein Anhänger von Lassalle, weil Lassalle vor den Geschworenen, als Jüngling schon, sich offen als Republikaner zu bekennen wagte, weil er in seinem Briefe an Rodbertus erklärt, dass er hauptsächlich deswegen den Nationalverein und die liberale Gothaer Richtung hasse, weil sie durch Furcht vor Kampf, Revolution und Republik sich kennzeichne. Deshalb bin ich Anhänger Lassalles, weil er in dem „System der erworbenen Rechte“ den Beweis führt, dass jedes erworbene Recht – also auch dasjenige, welches die heutige Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital ermöglicht – sofort hinfällig ist, zu Unrecht besteht und ohne jede Berechtigung auf Entschädigung fallen muss, sobald die öffentliche Überzeugung sich dahin entwickelt hat, dass dieses erworbene Recht mit ihr in Widerspruch steht und somit dem allgemeinen natürlichen Rechte Platz machen muss. Weil Lassalle ein solcher Mann war, und weil ganz Deutschland, ja die ganze Welt, ihn als solchen kennt, kann natürlich jene Behauptung des Fürsten Bismarck nur eigentümlich berühren.

Es ist in der letzten Zeit häufig in der Presse behauptet worden, Lassalle habe zu „Eingeweihten“ und zu „Uneingeweihten“ gesprochen. Nun, ich weiß, unter den Uneingeweihten befanden sich nicht die Arbeiter, die Lassalle folgten, sondern jene waren genau eingeweiht in dasjenige, was er wollte: „Brot und Freiheit zugleich zu erringen“; möglich, dass der Fürst Reichskanzler zu den Uneingeweihten gehört hat, dass Lassalle das Bild von Sais[1] ihm verschleiert hat.

Ich will hier zitieren, wie sich der Fürst Bismarck auf den Standpunkt eines gouvernementalen Sozialismus gestellt hat. In seiner Rede erklärt er:

Die Gewährung von Staatsmitteln zu Produktivgenossenschaften ist auch eine Sache, von deren Unzweckmäßigkeit ich auch heute noch nicht überzeugt bin.

Jenes sozialistische Prinzip, welches von Louis Blanc und Ferdinand Lassalle in den Vordergrund gestellt wird, das Eingreifen des Staates dort, wo es sich um Arbeiterassoziationen handelt, damit die Masse des Proletariats dem gegenwärtigen Druck des Kapitals widerstehen kann, wird also hier vom Bundestisch aus durch den Fürsten Bismarck anerkannt. Weiter erklärt er:

Wenn man etwas derartiges großen unternehmen wollte, so ist es ja wohl möglich, dass man hundert Millionen dazu gebrauchen könnte

- es sind Taler gemeint -

aber so ganz töricht und einfältig scheint eine solche Sache immer noch nicht …

Ich habe, so weit meine Erinnerung reicht, den Eindruck erhalten, dass der ganze fabrizierende Teil der Einrichtung und der Beschäftigung gar keine Schwierigkeiten bot.

Sie sehen hieraus, dass seitens des Fürsten Bismarck anerkannt worden ist, dass es durchaus nicht etwas einfältiges sei, wenn in großem Maßstab der Versuch mit Produktivassoziationen gemacht würde, und dass er zugleich es nicht als ein Hirngespinst hinstellt, wenn man versucht, die Arbeiter selbstständig in solchen Assoziationen zu organisieren, sondern dass die Art und Weise der Fabrikation und des Geschäftsbetriebs derselben sehr wohl in praktischer Weise und lediglich seitens der Arbeiter geleitet werden kann. Eine vollständigere Anerkennung der Schulen des Sozialismus von St. Simon an bis Louis Blanc, die in Frankreich auftauchten und dann in Deutschland sich weiter entwickelten, ist niemals seitens einer Regierung in Europa erfolgt, und es muss uns geradezu komisch anmuten, wenn ein solches förmliches Pronunziamento für den Sozialismus an dieser Stellen in dem Augenblick ausgesprochen wird, wo man dem Sozialismus den Fehdehandschuh hinwirft und ihm den Vernichtungskampf anbietet. ich muss mich wundern, dass bislang von allen liberalen Herren noch nicht en einziger aufgestanden ist und den Versuch gemacht hat, dies zu widerlegen und die Erklärung abzugeben, dass der Fürst Bismarck „sozialistischen Hirngespinsten“ nachjage, durch welche die ganze Gesellschaft notwendigerweise auf den Kopf gestellt werden müsse. Es ist doch sonst gang und gebe; ich habe derartiges oft genug in den Zeitungen gelesen, sogar von der Tribüne sprechen hören, sobald man annehmen konnte, dass ein Sozialist nicht mehr zum Wort kommen werde. Ein Herr trat dann auf und erklärte: alle Ideen einer gesellschaftlichen Produktionsweise, alle Ideen der Assoziation mit Staatshilfe in großem Maßstab würden nur darauf hinausführen, eine allgemeine Verarmung herbeizuführen, mit einem Wort, die ganze bürgerliche Gesellschaft auf den Kopf zu stellen. Jetzt hören wir derartiges nicht, und doch wird überall in die Trompete gestoßen, dass der Sozialismus selbst vernichtet werden müsse.

Denselben Widerspruch, wie wir ihn in jener ersten Rede des Herrn Reichskanzler finden, treffen wir in der zweiten an, welche er gestern hielt, und in welcher er speziell den Sozialismus in der heftigsten Weise zu bekämpfen versuchte. Er hat dort bedenkliche Ansichten ausgesprochen. Er griff zurück bis auf das Mittelalter, um dessen soziale Verhältnisse den heutigen an die Seite zu stellen. Das ist aber sehr falsch angebracht, denn die Verhältnisse zwischen Meistern und Gesellen in dem mittelalterlichen Gemeinwesen der Städte sind mit dem heutzutage existierenden Verhältnissen von Bourgeoisie und Proletariat, von Großfabrikation und besitzloser Arbeit durchaus nicht zu vergleichen, schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil aus dem mittelalterlichen Arbeiter- und Gesellenstande in den Städten der Meisterstand hervorging. Wenn aber der Fürst Reichskanzler meint, dass zu jener Zeit das Eigentum nicht angegriffen sei, so ist er vollständig von Irrtum befangen gewesen. Es gab damals, und zwar gerade hier im märkischen Lande einen Spruch, welcher freilich nicht von Bauern und Bürgern gesprochen wurde, sondern von Rittern und Junkern. Dieser Spruch lautete:

Reiten und Rauben ist keine Schande;

Das treiben die Edelsten im Lande!

Diesem Spruch gegenüber, durch welchen das Eigentum des friedlichen Kaufmanns gefährdet wurde, hatte dann auch der Bauersmann und der Bürger seine Spruch, der da lautete:

Hängen, Rädern, Köpfen ist keine Sünde;

Ließen wir’s, so fiel uns das Brot vom Munde.

Jene Tatsache wird nicht angegriffen werden können. Wenn heutzutage nun in den Nachkommen jener Geschlechter mitunter auch ähnliche Gelüste sich entwickeln mögen, so ist das gegenwärtige Raubrittertum, welches das Eigentum angreift, ein solches, welches sich auf den Besitz selbst stützt. Der Besitz respektive das Privateigentum des Kapitalisten wird in der Gegenwart als Waffe ausgenutzt, um das Arbeitseigentum der großen Klasse des arbeitenden Volkes auszuplündern, und der Sozialismus richtet sich lediglich dahin, diese Plünderungsversuche, diese Angriffe auf das Eigentum, welche in der Gegenwart stattfinden, zu beseitigen. Der Sozialismus will tatsächliche Rechtsgleichheit herbeiführen, nicht bloß die formelle Rechtsgleichheit der Gegenwart, bei welcher alle besitzlosen Lohnarbeiter den Mächtigen wehrlos gegenüberstehen. Der Sozialismus will also die Heiligkeit des Eigentums gerade schützen, d.h. die Heiligkeit desjenigen Eigentums, welches sich ein Jeder durch die Kraft seines Körpers und seines Geistes zu verschaffen vermag, während in der gegenwärtigen Gesellschaft gerade dieses Eigentum angetastet wird. Also ist im eminentesten Sinn des Worts der Sozialismus  seine Bestrebung, welche darauf hinausläuft, das Eigentum zu schützen, allerdings das wahre Eigentum, nicht jenes, welches nur als Waffe gebraucht wird, um die naturrechtlichen Eigentumsverhältnisse auf den Kopf zu stellen.

Fürst Bismarck machte ferner den Angriff auf die Sozialdemokratie, sie sei jeder positiven Bestrebung feind, jeder Bestrebung, die auf die Verbesserung der Arbeiterlage hinausgehe, nicht ein einziges Mal sei sie im Reichstag mit irgend einem auf positive Verbesserung zielenden Antrag hervorgetreten. Nun, der Fürst Bismarck scheint in einer eigentümlichen Weise den Verhandlungen des Reichstags gefolgt zu sein. Er muss es vergessen haben, dass, so lange überhaupt Sozialdemokraten einen Platz hier im Reichstag eingenommen haben, sie ununterbrochen auf dem Gebiet der so genannten Gewerbegesetzgebung tätig gewesen sind; sie sind hier vollständig im Sinne des Gothaer Programms, welches auch als staatsgefährlich in den Motiven bezeichnet ist, in durchaus positiver Weise für eine Verbesserung der Lage des arbeitenden Volks eingetreten, z.B. für unbeschränktes Koalitionsrecht, für einen den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechenden Normalarbeitstag, für Verbot der Sonntagsarbeit, für Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit, für Schutzgesetze für Leben und Gesundheit der Arbeiter, für sanitäre Kontrolle der Arbeiterwohnungen, für Überwachung der Bergwerke, der Fabrik-, Werkstatt- und Hausindustrie durch von den Arbeitern gewählte Beamte, für ein wirksames Haftpflichtgesetz, für Selbstverwaltung der Arbeiterhilfskassen usw. usw.

Nun, meine Herren, das sind Sätze des sozialistischen Programms, welches heute geächtet werden soll. Für diese Sätze ist in durchaus positiver Weise – ich verweise auf die Reichstagsverhandlungen seit dem Jahr 1867 – seit dem Augenblick, wo sozialistische Abgeordnete hier auf die Tribüne getreten sind, ununterbrochen tätig eingetreten, so dass ich auf das entschiedenste die Behauptung des Fürsten Bismarck zurückweisen muss. Wenn man vom Fürsten Reichskanzler erwarten könnte, dass er eine absichtliche Unwahrheit ausspräche, dann wäre er ja eben nicht Reichskanzler, das kann man von einem Reichskanzler nicht erwarten, sonst müsste ich dieses hier voraussetzen. (Sehr gut! im Zentrum. Heiterkeit.)

Fürst Bismarck hat nun weiter den Versuch gemacht, gegenüber der Sozialdemokratie die schärfsten, giftigsten Vorwürfe zu erheben. Es wurde von ihm behauptet, dass dieselben alles als Schwindel hinstellten, was dem Menschen irgendwie heilig sei. Nun, die Worte, die von ihm gewählt wurden, sind eigentümlich, wenn man auf gewisse Ereignisse der früheren Jahre zurückgreift. Da wurde zum Beispiel von ihm erklärt: der Glaube an das Königreich sei durch die Sozialdemokratie vernichtet worden. Ich erinnere mich – und ich mache dem Fürsten Reichskanzler keinen Vorwurf daraus –, dass er in Deutschland der erste gewesen ist, der einen König vom Thron gestoßen hat; und wenn der Glaube an die Legitimität durch die Ereignisse in Hannover im Jahre 1866 erschüttert ist, dann können wir dieses dem Fürsten Bismarck geradezu Dank wissen. Das Vaterland sollte – so führte er ferner aus – von den Sozialisten vernichtet werden, die Idee, der Enthusiasmus für vaterländische und nationale Bestrebungen! Wer hat zehn Millionen Deutsch-Österreicher von Deutschland losgerissen? Es waren die Ereignisse von 1866, die es getan haben! Während die Sozialdemokratie in Deutschland, wenn sie auch das Menschtum als den höchsten Grad des Patriotismus betrachtet, den Kosmopolitismus, doch fortwährend auf dem Standpunkt gestanden hat, dass die deutsche Nation, so weit die deutsche Zunge klingt, einig sein, als Einheit zum Wohlergehen des Volks leben muss. Wer ist der wahre Patriot? Etwa der, welcher mit Blut und Eisen versucht, blutige Lorbeeren auf Schlachtfeldern zu sammeln, oder der, welcher den Patriotismus darin sucht, dass Frieden unter den Völkern geschaffen wird, dass keine Nation die andere ausbeutet und in ihren Rechten kränkt, und dass im Lande selbst Wohlergehen herrsche? Diese zweite Art des Patriotismus besitzen die Arbeiter aller Länder, auch jene, die man „die Internationalen“ nennt. Und ich erwähne es hier von der Tribüne des deutschen Reichstages aus, dass, als im Jahre 1870 in Frankreich die Polizei Louis Napoleons durch die Straßen von Paris lief und rief: „à Berlin! à Berlin!“ – dass damals die Arbeiter von Paris es waren, die unter Führung des Porzellanmalers Ranvier durch die Straßen zogen und ihrerseits riefen: „Vive la paix!“ „Es lebe der Frieden!“. Die sozialistischen Arbeiter wollten nicht den Krieg, das ist historische Tatsache; sie wurden aber durch die Polizei Bonapartes und durch die Entwicklung der Militärmacht in ihren Demonstrationen gehindert, gerade so wie die deutschen Arbeiter später nach den Niederlagen von Sedan in ihren Friedensdemonstrationen durch die Gewalt gehindert worden sind. Dieser selbe Ranvier, welcher sich dagegen erklärte, dass ein Krieg zwischen Deutschen und Franzosen entstehe, dieser selbe Ranvier hat unter der Pariser Kommune auf den Barrikaden gekämpft und ist gegenwärtig flüchtig in Amerika. Sie sehen nun, dass die Internationalen geächtet werden – indem auch Fürst Bismarck und Marschall Mac Mahon[2] die Hand zu ihrer Ächtung reicht -, die stets den Frieden wollten, die keiner anderen Nation durch den Krieg Schaden zufügen lassen wollten. Sie sehen ferner, dass wohl Frieden möglich ist zwischen den sozialistischen Arbeitern verschiedener Länder, dass aber niemals Frieden möglich ist, solange einzelne herrschende Klassen bestehen, die sich gegenseitig anfeinden und die Völker für ihren Ehrgeiz auf die Schlachtfelder führen. Deshalb ist es ein Angriff, den wir auf das Entschiedenste zurückweisen müssen, als stehe der Sozialismus mit den Bestrebungen des wahren Patriotismus, welcher den Kosmopolitismus nicht ausschließt, im Widerspruch; er steht nur im Gegensatz zum Chauvinismus, mag dieser ein französischer oder deutscher Chauvinismus sein, und zum Ehrgeiz der Tyrannen.

Es ist uns ferner entgegengehalten worden, wir erklärten, die Familie sei „Schwindel“. Wir wollen wahres Familienleben in seiner Reinheit wieder zurückführen; die Zerstörung des Familienlebens herrscht vielmehr in der Gegenwart vor. Und was zerstört die Familie? Es ist das Massenelend, es ist die Trennung der Familien, ihre Zerreißung durch Fabrikarbeit, die Ausbeutung von Frauen und Kindern in Fabriken, wo dieselben bei einer Arbeit und in einer Umgebung aufwachsen, dass hierüber Körper und Geist zu Grunde gehen muss, dagegen kämpfen wir an. Wir kämpfen an gegen die Prostitution. Und woher rührt die Prostitution? Aus dem Unterschied der Klassen. Weil Armut und Reichtum so schroff einander gegenüberstehen, dass die Tochter und Schwester des armen Proletariers preisgegeben ist dem Lüstling, wenn der Lüstling nur ein Reicher ist, - weil eben das Laster mit allen Verführungen herantritt an die Armut, während der Reichtum im Stande ist, sich über Gesetze und gute Sitten hinwegzusetzen und sich durchaus nicht vor den sittlichen Schranken scheut! In unserer Zeit wird die Tochter des Arbeiters zur Menschenware herabgewürdigt; und indem wir gegen diesen Zustand, gegen das Massenelend, gegen schlechte Erziehung und Prostitution aneifern, da sind wir es, welche die Familie schützen, die wahre Familie, nicht etwa jene Familie der Gegenwart, welche man so gern nur als einen „juristischen Akt“ auffasst.

Ferner ist vom Fürsten Bismarck behauptet worden, dass wir das Eigentum angriffen. Ich habe schon vorhin erklärt, dass wir gerade das Arbeitseigentum, den Anspruch, den ein jeder werktätige Mann auf das hat, was er durch seine Körper- und Geisteskraft geschaffen hat, sichern, dass wir ihm dieses Eigentum erhalten wollen. Was geschieht aber in der Gegenwart? Man hat aus dem Eigentum und Erwerb das Gegenteil von dem gemacht, was es sein sollte, die Frucht einer Arbeit. Je weniger ein Mensch arbeitet, je mehr erwirbt er; je mehr ein Mensch schwindelt, je mehr er sich dem Gründertum und dem Wucher ergibt, je mehr er sich auf die Einkünfte eines großen Kapitals stützt, je mehr ist er im Stande, die Früchte der Arbeit Anderer an sich zu ziehen, und er ist doch nur eine Drohne. Dass ein Eigentum von solcher Wirkung aufhöre, oder vielmehr dass dies Ausnutzung eines zur Waffe gegen das wahre Eigentum gewordenen Besitzes aufhöre, dass mit einem Wort die kapitalistische Ausbeutung aufhöre, das ist das Programm der Sozialdemokratie.

Wenn von Beseitigung der Vererbung gesprochen wurde, so ist dem gegenüberzuhalten, dass die Sozialdemokratie durchaus nicht dem so genannten „Umsturz des Erbrechts“ als solchem zustrebt. Wir haben durchaus kein Interesse daran, dass demjenigen, welcher ein kleines nur zur Nutznießung, zum Andenken seiner Angehörigen dienliches Erbteil hinterlässt, ein solches Verfügungsrecht entzogen werde. Das, wogegen wir protestieren, ist, dass auf Grund des Erbrechts die Produktionsinstrumente in den Händen einer kleinen, winzigen Klasse sich anhäufen. Um letzteres zu verhüten, ist es aber nicht nötig, in roher Weise das Erbrecht anzutasten, sondern vielmehr jener Weg ist der richtige, welcher das Produktionseigentum als solches zum Gemeingut macht, so dass die Produktionsmittel Allen erreichbar sind und die Menschheit in der Assoziation die Möglichkeit hat, die Produktionsmittel voll und ganz auszunutzen, sowie den vollen Ertrag der Arbeit dem Arbeitenden zuteil werden zu lassen. Indem wir also dieses behaupten, uns auf diesen Standpunkt stellen, ist es durchaus verwerflich, den erwähnten Angriff auf die Sozialdemokratie zu machen.

Der Herr Fürst Reichskanzler hob hervor, es habe seinerzeit die Pariser Kommune ja die Mittel in der Hand gehabt, zu zeigen, wie die Sozialdemokratie praktische Verbesserungen schaffen könne; sie habe nichts getan, sondern nur gemordet und gebrannt. Dem gegenüber ist doch hervorzuheben, dass man keine sozialen Versuche und sozialen Neubildungen in einer belagerten Stadt machen kann, in dem Augenblick, wo durch eine gewaltige Armee diese Stadt angegriffen und bombardiert wird. Unter diesen Umständen wird niemand, auch der überzeugteste Sozialist nicht, den Versuch machen, eine Neuerung auf ökonomischem Gebiet ins Leben einzuführen, weil in dem Augenblick, wo es sich um den Kampf für die Existenz handelt, dergleichen durchaus undurchführbar ist. Hat es doch Fürst Bismarck selbst erklärt, er hätte mutmaßlich schon vor 15 Jahren soziale Reformen gemacht, wenn nicht infolge der äußeren politischen Verhältnisse ihm hierfür die Gelegenheit, Zeit und Lust gefehlt hätten. Wenn das jener Herr sagt, dann kann er nicht der Pariser Kommune den Vorwurf machen, dass sie in der Zeit, wo die Bomben der Versailler in die Straßen von Paris fielen, nicht soziale Versuche mit Produktivassoziationen und einer Organisation der Arbeit angestellt habe. Was waren überhaupt die Bestrebungen der Pariser Kommune, die man mit Hass überschüttet, die man der Verachtung überall preisgibt? Sie besaß aus staatsrechtlichen Gründen das Recht der Existenz; denn die Versailler Nationalversammlung war lediglich gewählt, um den Frieden mit Deutschland zu schließen, sie hatte keine Befugnis als konstituierende Versammlung. Wenn deshalb das Volk von Paris und das Volk verschiedener anderer großen Städte, z.B. von Marseille, im Jahre 1871 in Frankreich die Forderung stellte, dass aus dem Volke eine neue konstituierende Versammlung gewählt werde und dass bis dahin die großen Gemeinden Frankreichs sich selbst regierten, dann ist es sonnenklar, dass dies aus staatsrechtlichen Gründen geschah, die entschieden von denjenigen, welche nur einigermaßen unparteiisch an die Frage herantreten, gebilligt werden müssen. Was wurde dieser Forderung gegenüber seitens der Versailler Regierung ins Werk gesetzt? Es wurden die vom Volk in Paris in die Kommune Gewählten, allerdings fast sämtlich Sozialisten, ohne weiteres für Landesverräter erklärt, angegriffen und mit Krieg überzogen. Dass sie sich verteidigten, daraus kann man ihnen einen Vorwurf nicht machen. (Doch!)

Sie rufen „Doch!“ – gut meine Herren, ich werde Ihnen sofort den Beweis führen, dass eine bei Ihnen sehr maßgebende Persönlichkeit seiner Zeit anderer Meinung war. Fürst Bismarck hat zwar in seinen letzten Reden erklärt, dass er von dem Augenblick an ein großer Feind der Sozialdemokratie geworden sei, wo der Kommunekampf in Paris ausgebrochen sei. Ich erinnere mich aber früherer Vorgänge im deutschen Reichstag. Und da fällt mir die Verhandlung des deutschen Reichstags vom 2. Mai 1871 ein. In jener Sitzung hat der Fürst Bismarck eine Rede über die Pariser Kommune gehalten, in welcher wörtlich die folgende Stelle vorkommt. Am 2. Mai 1871, also nachdem volle sechs Wochen der Kampf bereits gedauert hatte, äußerte Fürst Bismarck über die Pariser Kommune unter anderem folgendes:

Wenn wir die heutige Pariser Bewegung betrachten, so wird auch bei ihr eintreffen, was bei jeder Bewegung, die eine gewisse Nachhaltigkeit hat, unzweifelhaft ist, dass – neben allen unvernünftigen Motiven, die ihr ankleben, und den Einzelnen bestimmen – in der Grundlage irgend ein vernünftiger Kern steckt; sonst mag keine Bewegung auch nur das Maß von Kraft zu erlangen, wie die Pariser es augenblicklich erlangt hat.

Als diesen „vernünftigen Kern“ der Pariser Kommunebewegung bezeichnete Fürst Bismarck dann weiter ihr Eintreten für kommunale Selbstverwaltung und stellte ihm an die Seite die deutsche Städteordnung. (Hört!)

Sie sehen daraus, dass dieser Bestrebung Fürst Bismarck nicht so unbedingt feindlich gegenübertrat. Das geschah allerdings vielleicht aus anderen Gründen als Gründen der Sympathie zu jenen Sozialisten; es geschah meines Erachtens deswegen, weil Fürst Bismarck während der Friedensverhandlungen einen Druck auf die Regierung des Herrn Thiers ausüben wollte; denn sobald in Folge dieser Erklärung Herr Thiers merkte, dass nötigenfalls auch über seinen Kopf hinweg mit der Pariser Kommune geliebäugelt werden könnte, fügte er sich, es wurden die Friedensbedingungen ratifiziert, und dann stand allerdings Fürst Bismarck nicht an …

Präsident: Ich muss den Herrn Redner unterbrechen. Der Herr Redner wird anerkenne, dass ich ihm die möglichste Freiheit gelassen habe, um auf die Behauptungen des Herrn Reichskanzlers und die Ausführungen desselben zurückzukommen. Jetzt aber geht er über diese Grenze hinüber, und ich bitte ihn, zur Sache zu sprechen.

Abgeordneter Hasselmann: Nun, da werde ich nur noch konstatieren, nachdem dieser tatsächliche Sachverhalt festgestellt ist, dass hernach seitens des Fürsten Bismarck in der entschiedensten Weise die Versailler Truppen unterstützt worden sind, so dass es ihnen endlich gelang, die Pariser Kommune im Blut zu ersticken. Und wenn in diesem letzten Kampf allerdings alle Schrecken eines Straßenkampfs in Paris sich ereignet haben, nun, dann liegt die Schuld an den Gräueln auf Seite jener, welche keinen Pardon geben wollten, und es war vom ersten Augenblick von den Versaillern erklärt, Pardon werde nicht gegeben.

Es ist der Fürst Bismarck auf die Zustände Deutschlands näher eingegangen. Er suchte nachzuweisen, weshalb sich hier die sozialistische Bewegung entwickelt hat. Es seien, sprach er, die „milden Gesetze“ Deutschlands, es seien die „gutmütigen Richter“ Deutschlands Schuld. Nun, wir haben an diesen gutmütigen Richtern und diesen milden Gesetzen im gegenwärtigen Augenblick schon einen schönen Vorgeschmack des Ausnahmegesetzes. Die Gefängnisse sind gefüllt mit Sozialdemokraten, mit Redakteuren und Rednern, die sämtlich durch die „gutmütigen Richter“ auf Grund der „milden Gesetze“ verurteilt worden sind, und die Kautschuckparagraphen 130 und 131 sind überall berühmt. Wenn Fürst Bismarck meint, die Gesetze seien zu mild, die Richter zu gutmütig, - nun ja, lassen wir ihm die Meinung! Wenn er auf Grund derselben scharfen Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie herbeizuführen sucht, nun, lassen wir ihm dann diese Bestrebung! Und wenn er sie durchsetzt, wie er sie ja durchsetzen wird, dann möge er auch das nur tun. Mögen die Gefängnisse noch mehr sich mit Sozialisten füllen. Es wird der Mut der Sozialisten nur noch mehr wachsen, ihre Opferwilligkeit sich noch verstärken. Und wie der Sozialismus in Frankreich aus jeder Bluttaufe neu wieder aufgesprossen ist, so wird er auch in Deutschland aus jeder Verfolgung neu und kräftiger sich erheben.

Was machte ferner Fürst Bismarck als Ursache des Sozialismus geltend? Es wollte eine solche darin finden, dass in Deutschland jedermann nach gewaltigem Gewinn strebe, der Bäckermeister wolle Bankier und dann Millionär werden usw. Da könnte es scheinen, als wenn heutzutage die Sozialdemokratie sich aus dem Herrn Bankier Bleichröder und dessen diplomatischen und sonstigen Freunden zusammensetzte. (Heiterkeit.)

Demgegenüber wäre freilich festzustellen, dass diese Elemente, welche ja in den Zeiten des Gründerschwindels so gewaltig überwuchert haben, aber wodurch? Dadurch, dass sie den kleinen Mann expropriiert, oder besser gesagt, dass sie sein kleines Eigentum konfisziert haben: „wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe, wer die Fülle nicht hat, dem wird genommen was er hat“ – so hat die Parole in Deutschland seit dem letzten Kriege tatsächlich gelautet. Der kleine Bürgerstand muss daran zu Grunde gehen, er ist vollständig auf den Aussterbeetat gesetzt. Und der Lohnarbeiter ist, nachdem ein kurzer Aufschwung der Industrie stattgefunden, welcher ihm aber kaum zu Gute kam, da mit dem Lohne zugleich sich der Preis der Lebensbedürfnisse außerordentlich steigerte, jetzt in en Elend geraten, wie man es bisher in Deutschland noch nicht kannte. Die Tausende und Abertausende der Arbeitslosen, die Hunderte von Selbstmordfällen, zeugen von der absoluten Verzweiflung, welche sich der ganzen arbeitenden Klasse bemächtigt hat. Dies ist es, was das arbeitende Volk zum Sozialismus geführt hat und noch ferner dahin führen wird. Und ich bin wirklich neugierig, ob gegenwärtig die Gewalthaber in Deutschland glauben, das Volk dadurch satt machen zu können, dass die Sozialisten unterdrückt und in den Kerker geworfen werden. Ich meine, es ist bis heute von allen Sozialistenprozessen noch kein Arbeiter satt geworden. Und unsere Zustände werden schließlich auch den deutschen Michel so weit bringen, dass er die Schlafmütze vom Ohr zieht.

Dass das Streben nach mühelosem Gewinn ein Fehler des deutschen Arbeiters sei, weise ich mit Entschiedenheit zurück. Wenn Fürst Bismarck sagte, dass ein einfacher Arbeiter, ein Steinträger, in jener Zeit des Industrieaufschwungs einen Lohn von 10 Talern täglich verdiente, so ist das unrichtig und ein Märchen, das Fürst Bismarck aus Zeitungen entnommen haben muss, über die er sonst doch so von oben herab zu sprechen pflegt. Wenn festgestellt werden soll, wo jene Jagd nach mühelosem Gewinn vorgekommen ist, welche indirekt die Ausbreitung des Sozialismus herbeiführte, nun so verweise ich auf die Agiotage[3] an den Börsen, auf Herrn Bleichröder und seine Freunde, die sich sogar aus der hohen Aristokratie rekrutieren. Dann weise ich darauf hin, dass nach dem Kriege Dotationen in eigentümlicher Weise verteilt worden sind; die Generäle bekamen Hunderttausende von Talern und Fürst Bismarck wurde einer der größten Grundbesitzer und Millionär; aber jene Armen aus dem Volk, jene Landwehrleute und Reservisten, welche nach dem Krieg ein kleines Darlehen bekommen hatten, kamen in die traurige Lage, dass dieses Darlehen ihnen später durch den Exekutor wieder abgenommen wurde; es war ja nur ein Darlehen, es war keine Dotation. Solche Tatsachen haben der Sozialdemokratie jene Männer, welche die Waffen in mehreren Feldzügen bereits geführt haben, jene gedienten Soldaten zugeführt, die zum Teil invalid sind, zum Teil kleine Beamte geworden sind. Es ist keineswegs, wie Fürst Bismarck behauptet, ein Bestreben des kleinen Beamtentums, sich über seinen Stand zu erheben, wodurch dasselbe sich dem Sozialismus ergab; nicht im Übermut wollen die unteren Beamten ihre Kinder „etwas Höheres“ werden lassen als sie selbst sind; sie sind wahrlich zufrieden, wenn sie ihre Kinder nur zu ehrenhaften Männern erziehen können. Aber der untere Beamtenstand hat alle sozialen Schläge, welche das arbeitende Volk erlitten hat, doppelt mit empfunden. Dem unteren Beamtenstande schließen sich zum großen Teil jene an, welche die Schlachten dreier Kriege mit geschlagen haben; jene, welche heutzutage trotz der Zivilversorgung vergebens auf den Eintritt in den Beamtenstand warten, Unteroffiziere und Invaliden, sie sind Sozialisten geworden, weil sie sehen, dass die heutige Gesellschaft sie schnöde unter die Füße tritt, und ich muss hier jene Männer gegenüber dem Fürsten Bismarck verteidigen. Ich zähle unter meinen Wählern eine große Anzahl derselben, ja, ich glaube sagen zu können, neun Zehntel aller gedienten Leute aus dem Wuppertal, welche die Feldzüge mitgemacht haben, haben sozialistisch gestimmt. Ich glaube, dass dies auch in Berlin der Fall gewesen ist, und ich bin der festen Überzeugung, dass gerade in ihnen die Sozialdemokratie einen mächtigen Faktor findet.

Es ist den vorgeführten Tatsachen gegenüber klar und deutlich, wie sozialdemokratische Überzeugungen in die Massen eindringen müssen. Der Arbeiterstand ist der Not, dem Elend und der Arbeitslosigkeit einer Handelskrisis preisgegeben, wie sie gleich schwer noch niemals vorhanden war, der Handwerkerstand und Bauernstand ist durch den Wucher und die Konkurrenz des Großkapitals der Vernichtung preisgegeben, der niedere Beamtenstand ist ebenfalls dem Elend preisgegeben; das ist der gegenwärtige tatsächliche soziale Zustand in Deutschland. Und weil jene Leidenden besser als die in der Regierung maßgebenden Persönlichkeiten das Wesen des Sozialismus begriffen haben, deshalb ist das gesamte werktätige Volk im gegenwärtigen Augenblick auf dem Marsch ins sozialistische Lager begriffen, deshalb wird er auch weiter fortleben und siegen trotz Repressivgesetzes, mit welchem man ihm droht.

Der Fürst Reichskanzler hat noch eine eigentümliche Ansicht entwickelt. Freizügigkeit, Pressefreiheit, mit einem Wort, alle und jede freiere Bewegung, welche in den letzten Jahrzehnten entstanden ist, sollten mit Schuld an den gegenwärtigen Zuständen sein. Nicht diese „Freiheiten“ sind Schuld! Es stände eben schlimm um die ökonomische Lage des Volks im gegenwärtigen Augenblick, wenn sie nicht vorhanden wären. Eine andere Ursache ist wirksam gewesen. Zur Zeit der Einführung der Freizügigkeit und der unbeschränkten Konkurrenz hat die kapitalistische Entwicklung in Deutschland in großartiger Weise Platz gegriffen, die Entwicklung der Großproduktion und des Großkapitals; von ihr bedingt sind die Zustände, die wir im gegenwärtigen Augenblick sehen. Noch weniger handelt es sich um Folgen der Pressefreiheit, die ja in Deutschland nur „auf dem Papier“ existiert, die Pressefreiheit mit einem Galgen daneben, wie sie sich früher einmal ein konservativer Abgeordneter wünschte. Die traurigen Zustände erwachsen notwendig aus der Entwicklung der Großindustrie und der großen Kapitalsmacht und werden Schritt für Schritt sich weiter ausdehnen. Jedes Repressivgesetz auf ökonomischem Gebiet wird nur den kleinen Handwerkerstand, das kleine Gewerbe, das kleine Kapital treffen, nimmermehr das Großkapital, welches sich schon mächtig genug entwickelt hat. Auf einer schiefen Ebene führt die Entwicklung der modernen Gesellschaft zur Bourgeoisgesellschaft, in der es keinen Mittelstand, sondern nur Bourgeoisie und Proletarier gibt. Es wird schließlich dazu kommen – gerade weil man gegenwärtig jede Bestrebung des arbeitenden Volks zu unterdrücken sucht – was kommen muss: zur sozialen Umwälzung.

Fürst Bismarck hat die giftigsten Angriffe auf das arbeitende Volk in Deutschland geschleudert, er hat behauptet, hier in Berlin existierten 60 bis 100.000 Mann organisierter Arbeiter und nähmen den Charakter einer feindlichen Armee an. Also jene Arbeiter Berlins und jedenfalls auch jene Arbeiter Deutschlands, welche sich zu den Arbeiterbestrebungen, zur Sozialdemokratie bekennen, werden als Feinde behandelt, ja als gehörten sie einer feindlichen Armee an. Nun, was wir solchen Worten entnehmen müssen, bei ihnen zwischen den Zeilen lesen müssen – denn auch bei solchen Reden muss man zwischen den Zeilen lesen, nicht bloß bei Zeitungsartikeln – ich denke, es ist klar. Vor zwei Jahren erklärte der Minister des Inneren im Reichstag, es werde die Zeit kommen, wo der Säbel haut und die Flinte schießt. Auch das war ein Wink, dass man den Bürgerkrieg von Seiten der Gewalthaber bereits im Auge hat. Und es hat wenig gefehlt, dass Berlin in den Pfingsttagen dieses Jahres nicht einen Bürgerkrieg gesehen hat; es sind in jenen Tagen Maßregeln in Berlin getroffen worden, wie etwa von Seiten Louis Napoleons vom 2. bis 4. Dezember 1850 und später zu wiederholten Malen. man ernannte Generalstabsoffiziere und gab sie dem Kommandanten von Berlin bei, die Truppen wurden in den Kasernen konsigniert. Hatte die Bevölkerung von Berlin, hatte ein Teil derselben auch nur einen Auflauf gemacht, war auch nur ein einziger Straßentumult aufzuzeigen? Nein, meine Herren, das war nicht der Fall. Trotz alledem sammelte man die Truppen in den Kasernen, trotz alledem gab man ihnen Generalstabsoffiziere zur Seite. Und es lag nur an den Arbeitern, daran, dass sie nicht auf den Straßen erschienen, nicht dort sich entwickelten, dass Blutvergießen verhindert worden ist.

Präsident: Ich glaube den Herrn Redner doch unterbrechen zu müssen. Diese Ausführungen gehören nicht zur Sache.

Abgeordneter Hasselmann: Wenn die Arbeiter als eine feindliche Armee hingestellt werden, so habe ich meiner Ansicht nach die Pflicht, zugleich die Bestrebungen zu geißeln, welche mir als die Taktik einer feindlichen Armee erscheinen.

Präsident: Ich bleibe bei meiner Behauptung und will mich auf Diskussionen mit dem Herrn Redner nicht einlassen. Die letzten Ausführungen waren nicht mehr zur Sache gesprochen. Es ist das die erste Aufforderung im Sinne der Geschäftsordnung; ich werde derselben die nötige Folge geben.

Abgeordneter Hasselmann: Der Fürst Reichskanzler behauptet, die Fortdauer des jetzigen sozialen Elends sei eine Folge der sozialistischen Bewegung. Nun, Ursache und Wirkung sind noch niemals mehr verwechselt worden, als wie in dieser Behauptung. Denn die sozialistische Bewegung, sie ist der Notschrei der leidenden, die kein Brot haben, die Erwerb nicht finden können, die arbeiten möchten und nicht können. Das ist der Notschrei des Proletariats, welches nach Besserung der heutigen Verhältnisse strebt, und wenn die geschäftlichen Verhältnisse so verzweifelt sind, so sind sie nur die Folge der planlosen Produktionsweise der gegenwärtigen Gesellschaft, welche die Sozialisten ihrerseits bekämpfen und abschaffen wollen.

Ich gehe jetzt dazu über, dass seitens des Fürsten Bismarck die spezielle Aufforderung an die Sozialdemokraten gerichtet worden ist, sie sollten das sozialistische Programm von der Tribüne des Reichstags aus entwickeln.

Es wurde von ihm die Behauptung aufgestellt, es sei, solange im Reichstag Sozialisten vorhanden seien, noch niemals der Versuch gemacht worden, darzulegen, was die Sozialdemokratie für Ziele habe. Nun, das liegt einfach daran, dass nach der Geschäftsordnung des deutschen Reichstags den Sozialdemokraten noch niemals Gelegenheit gegeben wurde, streng sozialistische Anträge zu stellen und zu begründen. Sozialistische Anträge würden hier auch nur möglich sein als auf gouvernmentalen Sozialismus gerichtete Anträge, dem wir durchaus feind sind. Wir konnten unsere Prinzipien nur insoweit entwickeln, als es sich um Maßregeln innerhalb der heutigen Produktionsverhältnisse handelte, um den Normalarbeitstag, um Frauen- und Kinderarbeit und dergleichen mehr. Es ist dies auch zur Genüge geschehen. Ich nehme allerdings an, dass im gegenwärtigen Augenblick die Sozialisten im Reichstag wohl berechtigt sind, darzulegen, was sie unter Sozialismus, unter sozialistischer Gesellschaftsorganisation verstehen; denn der §1 dieses Gesetzes lautet ja ausdrücklich, dass Vereine, welche sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen bezwecken, dem Verbot unterliegen sollen. Es gehört also hier eminent zur Sache. Doch ist es meines Erachtens das erste Mal seit langer Zeit, dass auf Grund der Geschäftsordnung in kurzen Umrissen dargelegt werden kann, was seitens der sozialdemokratischen Partei erstrebt wird.

Die Sozialdemokratie ist keine Partei, welche sich Phantasiegebilden hingibt, keine Partei, welche irgend einer Formel folgt, sondern sie sucht, zunächst klar die gesellschaftlichen Zustände zu durchschauen. Die Sozialdemokratie fragt sich: was ist die moderne Gesellschaft, wie wirkt dieselbe? Und die Antwort ist folgende: die moderne Gesellschaft ist lediglich eine Fortsetzung jener früheren Gesellschaftszustände, die auf der Ausbeutung des Menschen durch die Menschen beruhten, nur in einer anderen Form. Während bei den Zuständen der Sklaverei die Gewalt des Sklavenherrn über die Person des Sklaven eine juristische, ein persönliches Besitzverhältnis ist, während in den Zeiten der Leibeigenschaft der Feudalherr seinen Hörigen kraft eines erworbenen Rechtsanspruchs zu seinen Frondiensten heranzieht, so hat allerdings diese direkte Abhängigkeit in der gegenwärtigen Gesellschaft aufgehört. Nicht mehr wird hier direkt der Arbeiter zu einem Gegenstand des Besitzes gemacht, der auf dem Markt verkauft werden kann, sondern in der gegenwärtigen Gesellschaft findet diese Art der Ausbeutung indirekt statt. Das große Kapital beherrscht den Arbeiter, weil er von den Produktionsmitteln ausgeschlossen ist, weil er nicht selbst die Maschinen besitzt, mit denen allein Großproduktion betrieben werden kann, weil er nicht den Grund und Boden, nicht die Bergwerke besitzt. Deshalb ist der Arbeiter gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Die Arbeitskraft ist also in der heutigen Gesellschaft eine Ware und unterliegt allen jenen Verhältnissen, welchen eine gewöhnliche sachliche Ware auf dem Arbeitsmarkt unterliegt. Ihr Durchschnittspreis richtet sich nach ihren Herstellungskosten, und seit den Studien von Ricardo haben alle ernsten Forscher der Nationalökonomie sich darin begegnet, dass der natürliche Preis der Ware Arbeitskraft, also der Arbeitslohn, in nichts anderem besteht, als wie in den Unterhaltsmitteln zur Befriedigung der durchschnittlichen gesellschaftliche notwendigen Bedürfnisse der Arbeiterfamilie. Hierdurch wird herbeigeführt, dass durchschnittlich die Arbeiterklasse lediglich dasjenige ihr eigen nennt, dasjenige zum Unterhalt hat, was gerade ausreicht, damit sie notdürftig existieren kann. Es findet nun ein steter Wechsel der Produktion statt. Es wechseln Handelskrisen mit einem Aufschwunge. Während der Zeiten des Aufschwungs stehen die Arbeiter sich etwas besser, es wird aber in Folge neuer Erfindungen, die dann gemacht werden, in Folge einer Zunahme der Arbeiterbevölkerung, neuer Familienschließungen und dergleichen mehr die Arbeiterzahl sich so lange steigern, bis Angebot und Nachfrage sich ausgleichen und der Lohn auf den Durchschnitt zurücksinkt. Sodann findet auf der anderen Seite während der Handelsstockungen, während des übermäßigen Arbeitsangebots der Arbeiter das Gegenteil statt. In jenen Zeiten der Handelskrisis sterben tatsächlich die Arbeiter durch Not und Elend dahin; Hunger und Krankheiten dezimieren ihre Familien. Ihre Kinder – das ist ja durch die Statistik erwiesen – sterben aus Mangel an Pflege viel rascher dahin, wie die Kinder aus den wohlhabenden, besitzenden Familien, mit einem Wort, in den Zeiten einer Handelskrisis – und gegenwärtig haben wir eine solche – wird die große Masse des arbeitenden Volks buchstäblich dezimiert. Dieser Dezimierung halber, wodurch von Zeit zu Zeit die Klasse der werktätigen Bevölkerung einem langsamen Hungertode ausgesetzt ist, nennt man das ökonomische Gesetz, nach welchem der Lohn sich regelt, das eherne Lohngesetz.

Ferner sehen wir, dass diese Handelskrisen, die sich mit erschreckender Regelmäßigkeit folgen, eine naturnotwendige Folge der heutigen planlosen Produktionsweise sind. Weil die Spekulation der Börse, weil die Jagd nach Gewinn lediglich die Bestrebungen der Produzenten bedingt, weil keine planmäßige Produktionsweise vorherrscht, deswegen haben wir abwechselnd Zeiten des größten Schwindels, der höchsten Spekulation, und bald wiederum die Handelskrisen.

Die Sozialdemokratie erkennt also einmal in jenem ehernen Lohngesetz, in der sozialen Ausbeutung, zweitens in jener Planlosigkeit der Produktion nebst den Handelskrisen die Ursachen des Elends, die Sozialdemokratie schließt deshalb weiter, dass ein jeder Mensch, welcher werktätig in der Gesellschaft ist, ein jeder Mensch, welcher mit Körper oder Geist arbeitet, ein Arbeiter ist und nicht bloß einen Anspruch auf jene notwendigsten Lebensbedürfnisse hat, die ihn trotzdem allen Schrecken des ehernen Lohngesetzes aussetzen, sondern, dass gerade umgekehrt der Arbeiter einen Anspruch hat auf seinen vollen Arbeitsertrag, so dass also alles, was an Tauschwert durch die Arbeit in der menschlichen Gesellschaft erzeugt wird, naturnotwendig lediglich dem arbeitenden Volk selbst als Eigentum anzugehören hat. Dieser Eigentumsbegriff ist es, auf welchem der Sozialismus fußt. Dies Arbeitseigentum in der Zukunft sichern, das ist es, wonach wir streben.

Und das Mittel, welches wir dabei im Auge haben und welches merkwürdigerweise hier auch vom Fürsten Bismarck in einer gewissen Weise anerkannt worden ist, das ist die menschliche Assoziation. Der Arbeiter soll nicht dem Arbeitsinstrumente preisgegeben sein, er soll nicht angekauft werden vom Kapitalisten als eine Art Ware, sondern der Arbeiter soll der Herr sein über das Arbeitsinstrument. Es soll an die Stelle der Massenlohnarbeiter, die preisgegeben sind dem Kapital, ein Zustand treten, in welchem die vereinigten Arbeiter Produktivassoziationen bilden und nun gemäß den Erfordernissen rationeller Produktion, also in einer Weise, die der Großindustrie und der Ackerwirtschaft mit Großbetrieb entspricht, produzieren können. Denn auch für den landwirtschaftlichen Betrieb hat die Stunde geschlagen; es wird nicht lange mehr dauern, so wird das Großkapital sich des Ackerbaus bemächtigen, und eben so gut, wie der kleine Bürgerstand von Haus und Hof verdrängt wird, ebenso wird auch der kleine Bauernstand, ja sogar der verschuldete Großgrundbesitz durch das Großkapital verdrängt werden. Es wird also in Zukunft – dem eilen wir entgegen – ein Zeitpunkt eintreten, wo auf der einen Seite die Kapitalmacht, mächtiger und mächtiger geworden, sich in wenigen Händen konzentriert, auf der anderen Seite das arbeitende Volk Not leidend in großer Masse ihr gegenübersteht. Schon jetzt sind wir nahe diesem Zeitpunkt; jedes Jahr, welchem wir entgegen gehen, wirkt in sozialer Beziehung wie ein Jahrzehnt oder Jahrfünft, welches hinter uns liegt. Die Folge wird sein – nicht die Sozialdemokratie, sondern die gesellschaftlichen Zustände führen es herbei – dass der Zeitpunkt kommen wird, wo sich die gesamte Bevölkerung klar darüber sein wird, dass lediglich die Assoziation es ist, welche die unhaltbaren Verhältnisse bessern kann.

Wie soll die sozialistische Assoziation organisiert werden? Die Antwort ist, sie soll nicht etwa, wie uns seitens der Gegner auch seitens des Fürsten Bismarck imputiert wurde, in der Weise organisiert sein, dass von oben herunter eine brutale Beamtenwillkür stattfindet. Ich glaube, der Herr brauchte die Behauptung, dass alsdann die Redner der Volksversammlungen die Herren sein würden, welche wie in einem großen Zuchthause mit brutaler Gewalt über ihre Genossen herrschten. Wenn das die Assoziation wäre, welche die Sozialdemokratie anstrebt, dann würden wir sie weit von uns weisen. Nein, wir wollen die Assoziationen der Freiheit. Man sagt jetzt dem Arbeiter, es stände ihm frei, sich eine Fabrik zu wählen, wo er arbeiten kann, - eine Behauptung, die irrtümlich ist, denn der Hunger zwingt ihn dazu, sich bei der ersten Fabrik zu melden, wo man seine Arbeitskraft brauchen will, er hat keine Zeit zum Wählen. Mit weit größerem Rechte wird man sagen können, dass in einem sozialistischen Gemeinwesen es dem Arbeiter freistehe, sich diejenige Assoziation auszusuchen, bei welcher er eintreten will. Sie wird neue Arbeiter annehmen als gleichberechtigte Mitarbeiter, je nachdem ihre Tätigkeit eine größere oder geringere ist. Es lässt sich die vollständige Freizügigkeit, die vollständig freie Gruppierung denken, selbst wenn wir einen Vergleich mit den heutigen Zuständen, mit der diktatorischen Gewalt des Fabrikanten und des großen Grundbesitzers gänzlich außer Augen lassen. In einer sozialistisch organisierten Gesellschaft handelt es sich zudem um Assoziationen, die unter sich in einem solidarischen Verhältnis stehen. Desgleichen lässt sich die innere Organisation der Assoziationen auf einem durchaus freiheitlichen Standpunkt entwickelt denken.

Ich zitiere hier speziell noch einmal die Wort des Fürsten Bismarck, welcher er nach seinen Erfahrungen, auf dem Gebiete der Produktivassoziationen, äußerte:

Ich habe den Eindruck erhalten, dass der ganze fabrizierende Teil, Einrichtung und Beschäftigung, gar keine Schwierigkeiten bot.

Also nach dem Fürsten Bismarck selbst bietet die innere Organisation solcher Produktivassoziationen gar keine Schwierigkeit, lediglich der so genannte kaufmännische Verkehr zeigt nach ihm Mängel.

Was erstrebt nun aber die Sozialdemokratie? Sie will, dass die Assoziation nicht in kleinem Maßstab – denn in kleinem Maßstab inmitten der heutigen Gesellschaft würden sie ja unterdrückt durch das große konkurrierende Kapital – sondern dass sie in großem Maßstab ins Leben eingeführt wird. Unter welchen politischen Zuständen, nach welchen Ereignissen, das sei bei dieser theoretischen Betrachtung dahingestellt. Nehmen wir an, die Sozialisten gingen an die Ausführung ihrer Pläne. Sie würden dann – zunächst hauptsächlich an den Zentralpunkten der Industrie – derartige Produktivassoziationen in größerem Maßstabe ins Leben rufen, es würden sich die Arbeiter frei gruppieren. Die Mitglieder der Assoziationen würden vielleicht oder sogar wahrscheinlich sich bei der Arbeit gegenseitig einer bestimmten Prüfung unterwerfen; sie würden untersuchen, inwieweit die Einzelnen auch tüchtig wären in ihrem Beruf, ehe sie ihnen eine verantwortungsvolle Stellung in der Assoziation angedeihen ließen. Nun würden aber diese so organisierten Assoziationen oder Gruppen keineswegs als Konkurrenten einander entgegentreten, keineswegs sich planlos bekämpfe, keineswegs sich der Spekulation ergeben, sondern sie würden eine Statistik des Verbrauchs feststellen. Die vereinigten Assoziationen würden nach der statistischen Untersuchung – wie man sie ja schon in England in größtem Maßstab ins Werk gesetzt hat, man geht ja glücklicherweise auch daran, endlich einmal in Deutschland derartige statistische Erhebungen zu machen – also leicht berechnen können, in welcher Weise die Produktion am besten geregelt werden kann, wieviel Bedarf nötig ist, wie groß die Leistungsfähigkeit der gesamten Produktionsinstrumente ist. In der Gegenwart, meine Herren, finden wir auf diesem Gebiet die vollständige Verwirrung. Ich habe eine Untersuchung über den jetzigen Stand der Eisenindustrie in Rheinland und Westfalen angestellt, und nach den Quellen, die mir sowohl von den Arbeitern als von Fabrikanten geliefert worden sind, habe ich in Erfahrung gebracht, dass gegen dreimal soviel Produktionsinstrumente in jenen Distrikten vorhanden sind, um Schmiedeeisen, Stahl und Bessemerstahl herzustellen respektive zu verarbeiten, als überhaupt in der Gegenwart zur Produktion für den vorhandenen Konsum notwendig sind; volle zwei Drittel der Arbeitskräfte feiern, volle zwei Drittel der Produktionsinstrumente liegen in Rheinland und Westfalen brach. Und der Maschinenbauindustrie in Berlin und andernorts geht es in gegenwärtigem Augenblick nicht viel besser. Bei anderen großen Produktionsgebieten, der Textilindustrie, dem Bergbau usw. finden wir ganz ähnliches. Nun wohl, meine Herren, eine solche Planlosigkeit, eine solche Zerstörung des Werts, eine solch allgemeine Arbeitslosigkeit, wie sie die gegenwärtige Gesellschaft aufweist, kann nimmermehr eine sozialistisch organisierte, auf Solidarität der verschiedenen Assoziationen und Gruppen beruhende sozialistische Gesellschaft herbeiführen; denn es würden unter allen Umständen die Assoziationen sich rechtzeitig fragen: ist es geraten, die Industrie zu vermehren und auszudehnen oder die Produktionsmittel einzuschränken, oder die Arbeitskräfte auf ein anderes Gebiet überzuführen, oder, falls das nicht möglich, andere Bahnen der Produktion ihnen aufzuschließen. Supponieren wir einmal, das deutsche Volk sei eine sozialistische Gesellschaft. Dann würden unter den gegenwärtigen Geschäftsverhältnissen die vereinigten Produktivassoziationen der Maschinenbauarbeiter, der Metallarbeiter und dergleichen in Folge des Mangels an Absatz sich an die Nationalvertretung wenden und dort den Antrag stellen, großartige Unternehmungen, z.B. Eisenbahnen und dergleichen mehr, zu schaffen, sie würden den Antrag stellen, sämtlichen landwirtschaftlichen Produktivassoziationen mit Dampfpflügen und landwirtschaftlichen Maschinen zu versehen (Heiterkeit) und eine organisatorische Beschaffung neuer Arbeit wäre unter solchen Verhältnissen allerdings durchführbar. Wie liegt die Sache nun heute? Die Maschinenfabrikanten würden sich freuen, die Hochofenbesitzer würden sich freuen, wenn neue Eisenbahnen gebaut würden; andererseits aber ist das Kapital, welches nur auf Gewinn ausgeht, davor erschreckt, sich in Spekulationen einzulassen, es hat sich vom Markt zurückgezogen. Ein großer Teil der Grundbesitzer und der Bauernstand sind also nicht im Stande, sich mit den Maschinen des landwirtschaftlichen Großbetriebes auszurüsten. Mit einem Wort, auf der einen Seite fehlt die Kaufkraft und auf der anderen Seite ist die Produktionskraft gehemmt, ja vollständig gelähmt. Andererseits ist bei den Arbeitern zwar die Konsumtionskraft allerdings vorhanden, sie möchten nicht hungern, sie möchten statt der Kartoffeln lieber ein Stück Fleisch im Topf haben, sie möchten sich dies durch Arbeit erwerben, aber sie finden keine Arbeit, und den landwirtschaftlichen Produkten fehlt so der Absatz. Die organisierte Assoziation muss also auf einer allgemeinen Statistik und Vergesellschaftung beruhen, so dass ihre Gruppen, die Assoziationen, sich in den Hände arbeiten und einen allgemeinen Verband bilden, wie es schon im kleinen von deutschen und französischen sozialistischen Verbindungen versucht worden ist. Diese Versuche sind heutzutage übrigens nicht maßgebend in Folge der Planlosigkeit der Produktionsweise in der Bourgeoisgesellschaft; innerhalb der sozialistischen Gesellschaft sind sie möglich. Also es garantiert die Produktivassoziation, dass ein jeder mit Berücksichtigung seiner Leistung oder Arbeitsanstrengung – denn letztere ist das wahre Maß der Arbeit – belohnt werde, sie garantiert, dass somit der volle Arbeitsertrag der Arbeit zugute kommt, während der Verband der Assoziationen diesen volle Sicherheit gegen eine planlose Produktionsweise bietet.

Das sind die Grundzüge jener zukünftigen Organisationen, für welche wir eintreten. Klar zu Tage liegt, so sehr sie von den Gegnern auch angefeindet werden, dass sie niemals solchen Unsinn, solche Planlosigkeit und solches Elend herbeiführen können, selbst in dem schlimmsten Falle nicht, wie die gegenwärtige Gesellschaft mit ihren Handelskrisen es herbeigeführt hat.

Allerdings stehen wir nicht auf dem Boden der so genannten selbsthilferischen Assoziation, aus dem einfachen Grunde, weil die große Masse des arbeitenden Volkes erdrückt wird durch die Konkurrenz und die Bewegungen des Großkapitals. Es ist nicht möglich, dass durch ein so genanntes Sparsystem der bereits vollständig verschuldete Kleinbürger- und Arbeiterstand gegen die fortwährend wachsende Macht des Großkapitals zu kämpfen vermag. Der wachsende Rückgang des Kleinbürgertums trotz aller Selbsthilfeversuche beweist ja zur Genüge, dass auf dem sozialen Gebiet in größerem Maßstab gehandelt werden muss, als wie es mit den so genannten Selbsthilfebestrebungen durchführbar ist. Merkwürdig ist es, dass die einzigen gesunden Produktivgenossenschaften, welche wirklich blühen, solche sind, denen jetzt mit diesem Gesetz das Messer an die Kehle gesetzt wird, Genossenschaften, die von Sozialisten gegründet worden sind und denen man deshalb den Vorwurf macht, sie zielten darauf hin, die heutige Gesellschaft zu untergraben. Das Eigentum dieser Genossenschaften wird in diesem Augenblick gefährdet; sie sollen eventuell unter Kontrolle gestellt werden, oder man hat auch als Drohmittel gegen sie das Messer der Vernichtung, man will ihnen ihr Vermögen und ihr Eigentum nötigenfalls konfiszieren, denn eine polizeiliche Zwangsliquidation bedeutet nicht viel anderes als eine Konfiskation.

Weshalb stehen wir nicht auf dem Boden des so genannten gouvernementalen Sozialismus, den der Herr Reichskanzler hier vertreten hat? Er wünschte ja sehr, dass man auf diesen Boden sich stellen möge. Die Antwort ist sehr einfach: weil wir nicht glauben, dass jemals eine ernste Hilfe des arbeitenden Volks durch einen solchen gouvernementalen Sozialismus herbeigeführt werden kann, weder eine ernste noch eine redliche Hilfe. Schon jetzt sehen wir allerdings Vorzeichen einer künftigen sozialistischen Assoziation, wir finden, dass auf gewissen Gebieten des Lebens, bei den Staatsbergwerken, im Postverkehr und dergleichen, die Produktion in Händen des Staats, der Gemeinsamkeit, ruht. Wir sehen sogar, dass die Wissenschaft bereits vollständig dem Kommunismus huldigt, denn die Resultate jeder neuen Entdeckung, jeder wissenschaftlichen Forschung gehören sofort als kommunistisches Gesamteigentum der ganzen Menschheit an. Hier, wo es sich um das edelste Arbeitseigentum handelt, finden wir bereits die Entwicklung zum vollständigen Kommunismus vor, ohne dass ein Entdecker, ein Mann der Wissenschaft sich dagegen auflehnt, ihm genügt die Genugtuung, welche er darin findet, dass seine Entdeckung und wissenschaftliche Forschung die Menschheit beglückt. Diesen Vorboten des Kommunismus und Sozialismus stehen wir allerdings nicht feindlich gegenüber, wir betrachten sie als Vorläufer des wirtschaftlichen Kommunismus. Aber auf der anderen Seite müssen wir erklären, dass überall da, wo der reaktionäre Staat seine Hand bei der Produktion im Spiel hat, wir finden, dass gerade unter dem Druck dieses reaktionären Staats die Arbeiter auf das traurigste und bedrückteste leben. Keineswegs sind die Arbeiter in den Staatsfabriken und Staatsbergwerken besser daran als in jenen Bergwerken und Fabriken, die im Privatbesitz sich befinden. In früheren Zeiten besaßen die Bergleute im Harz noch gewisse Vorrecht; sie hatten zum Beispiel das Recht, bis zu ihrem Lebensschluss auf der Grube als Bergmann zu bleiben, man konnte keinen Bergmann im vorigen Jahrhundert und noch im Anfang dieses Jahrhunderts ohne eine förmliche Disziplinaruntersuchung, wie sie gegen einen zu entlassenden Beamten angestrengt werden muss, aus der Arbeit entlassen. Aber, meine Herren, in der neueren Zeit, besonders in den letzten 20 und 30 Jahren werden in allen Staatsbergewerken und Fabriken die Arbeiter lediglich als Lohnarbeiter behandelt, als Arbeiter, die man nach Bedarf auf dem Arbeitsmarkt anwirbt und nach Belieben fortschickt. Sobald ein Arbeiter auf einem Staatsbergwerk oder in einer Staatsfabrik eine Meinung äußert, die einem Vorgesetzten nicht passt, mag es eine politische oder eine wirtschaftliche Meinung sein, da wird er gemaßregelt; jeder, der sich nicht unbedingt fügt, wird aus dem Werk hinaus gestoßen, und wie gesagt, weil hier der Staat als Bourgeois eintritt, als Ausbeuter, und zu gleicher Zeit die Macht der gesamten Staatsgewalt hinter sich hat, deshalb ist die Lage der Arbeiter unter einer solchen reaktionären Verwaltung zum großen Teil noch schlechter als dort, wo es sich um die Privatindustrie handelt.

Ferner sehen wir, dass dort, wo schon eine Art sozialistischer Vororganisation vorhanden ist, wie beim Beamtenstand, vornehmlich dem Post- und Eisenbahnbeamtenstand, ein bürokratisches System herrscht, ein autoritäres System, welches wir Sozialdemokraten als antiautoritäre auf das entschiedenste bekämpfen müssen. Es herrschen dort die so genannten Konduitenlisten[4]; dem Beamten wird vom Vorgesetzten eine Konduitenliste geführt, die derselbe niemals zu Gesicht bekommt; wird er in derselben angeschwärzt, so ist seine Karriere dadurch so gut wie vernichtet, er kann sich nicht dagegen verteidigen, er ist auf die Gnade und Ungnade des Vorgesetzten angewiesen.

Aus allen diesen Gründen finden wir bei dem gegenwärtigen gouvernementalen Sozialismus einen Nepotismus und eine Korruption, die wir nur auf das allerentschiedenste bekämpfen können und müssen. Deshalb haben wir kein Vertrauen dazu, dass die gegenwärtige Regierung im Stande sei, Produktivassoziationen zu leiten. Aber wir glauben auch nicht, dass sie jemals ernstlich mit der Absicht hervortreten würde, denn es handelt sich darum, ob man den Sozialismus wirklich grundsätzlich, radikal in die Gesellschaft einführen will oder nur zum Schein. Will man ihn zum Schein einführen, dann genügt es, wenn man 6000 Taler an schlesische Weber gibt, damit sie ein Experiment machen, denn ein solches Experiment im kleinen muss ja gegenüber der Konkurrenz der großen Kapitalmacht gerade so scheitern, als wenn wenige Kleinmeister sich mit ihrem kleinen Kapital vereinigen. Handelt es sich aber darum, im Großen den Sozialismus ins Leben einzuführen, dann, meine Herren, ist die ganze heute herrschende Gesellschaft allerdings bedroht. Es ist freilich gar nicht nötig, anzunehmen, dass sie in der Weise bedroht sei, dass man ihr Eigentum annektieren wolle; sie ist aber in ihrem Kapitalgewinn bedroht durch die Konkurrenz großartiger assoziierter Assoziationen, welche die tüchtigsten Arbeitskräfte an sich ziehen und am besten und billigsten produzieren können, weil ihnen nicht die Fehler und die Spekulation der Kapitalisten anhaften, sondern sie im eminentesten Sinn eine große Kulturbewegung bilden. Die Konkurrenz eines solchen sozialistischen Gemeinwesens eines Staates im Staat, einer Gesellschaft in der Gesellschaft würde alsdann genügen, um die Konkurrenz des Privatkapitals gerade so gut zu besiegen, wie gegenwärtig den kleinen Spekulanten, den kleinen Kapitalisten die Konkurrenz eines Rothschild und eines Bleichröder vernichtet und den kleinen Eisenfabrikanten die Konkurrenz des Herrn Krupp und seinesgleichen.

Somit sehen wir, dass eine sozialistische Organisation, herbeigeführt durch eine wahrhaft großartige Tätigkeit der arbeitenden Gesellschaftsklasse, wohl im Stande ist, „die heutige Gesellschaft“, das heißt die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital, auf welcher ja die heutige Gesellschaft beruhen soll und die man durch das Sozialistengesetz schützen will, zu bedrohen. Deshalb wird niemals der gouvernementale Sozialismus zu einem solchen radikalen Mittel greifen; selbst wenn der Fürst Bismarck auch 100 Millionen Staatshilfe nicht für etwas ganz unsinniges zu halten erklärt hat, der Druck des Herrn Bleichröder wird schon groß genug sein, um ihn niemals zu einem solchen Experiment zu veranlassen. Außerdem fürchten wir nichts so sehr als den Nepotismus, nichts so sehr als die Korruption. Wenn sozialistische Assoziationen eingeführt werden sollen, so müssen sie wirken unter der Kontrolle ihrer Mitglieder selbst, es muss die Korruption ausgerottet werden, es darf keine Bürokratie in ihnen existieren, sondern in dieser Beziehung muss eine vollständig antiautoritäre Verwaltung bestehen.

Was hat denn die gegenwärtige Regierung getan, um Vertrauen bei den Arbeitern hervorzurufen, wie hat sie denn angekündigt, dass sie bereit sei, das arbeitende Volk aus Not und Elend zu befreien? Sehen wir nur darauf hin, was sie seit dem Jahr 1874 tat!

Man begann damit, dem Arbeiter das Koalitionsrecht abschneiden zu wollen durch das so genannte Kontraktbruchgesetz. Das Kontraktbruchgesetz als solches war noch lange nicht einmal so gefährlich für die Arbeiter als das, was in Aussicht stand, falls es angenommen worden wäre; darin lag die schwerste Gefahr, dass Fabrikanten im Stande gewesen wären, die Arbeiter durch jahrelange Kontrakte zu knebeln; dass auf Jahre hinaus das Koalitionsrecht den Arbeitern beschnitten werden konnte, dass man sie zu einer Art Kulis hätte machen können. Das war das erste, mit dem man in Arbeiterfreundlichkeit zu machen suchte.

Darauf folgten weitere Ergüsse der Arbeiterfreundlichkeit; da begann die Auflösung aller Vereine; es wurden jene Vereine, die, wie der allgemeine deutsche Arbeiterverein, lediglich eine friedliche Benutzung des allgemeinen Wahlrechts auf ihr Programm gesetzt hatten, aufgelöst; und weswegen fand die Auflösung statt? Die Gründe lauteten: Man erklärte sie für staatsgefährlich; nicht ihre Absicht sei staatsgefährlich, sondern ihre Organisation. Und was war das für eine Organisation? Dieselbe Organisation, welche als Leiter diente, auf der die Herren von Bennigsen, Miquel, Lasker usw. emporgestiegen sind, die Organisation des deutschen Nationalvereins, welche in das Statut des allgemeinen deutschen Arbeitervereins hinüber genommen wurde. Die Bestrebungen des Nationalvereins hatte die preußische Regierung nicht als feindselig anerkannt, nur Mecklenburg hatte ihn verboten, Preußen hatte ihn bestehen lassen, aber die allgemeine Arbeitervereinigung musste man für staatsgefährlich erklären, und Herr Tessendorf[5] hat sie mit einem Fußtritt vernichtet. Es lässt sich natürlich für eine solche Anklage leicht ein Vorwand finden. Dieser Verein wird Ihnen jetzt nochmals als staatsgefährlich denunziert, sein Statut ist in den Motiven angeführt worden, und doch bewies ich Ihnen vorher, dass dasselbe nichts enthält als eine Agitation auf friedlichem, legalem Wege, welche sogar seinerzeit vom Berliner Kammergericht als friedlich und legal anerkannt worden ist. Nun, diese Organisation wurde vernichtet, während der Nationalverein nie angetastet war, und dennoch haben wir gesehen, dass innerhalb des Nationalvereins in seiner Blütezeit sich Bestrebungen geltend gemacht haben, die einen sehr feindlichen Charakter an sich trugen. Allerdings nicht von der Tribüne herunter, sondern hinter den Kulissen fanden sie ihren Ausdruck; man hat auf allen Schützen-, Turn- und Sängerfesten derartig gefestredet, dass dabei den Herren, welche es anhörten, das Herz im Leibe lachte, und ich könnte Ihnen Mitteilungen zur Genüge vorführen, aus denen Sie ermessen könnten, welche Absichten und Ansichten gegen bestimmte Gesellschaftsklassen sich äußerten – hier war besonders die Klasse der sogenannten „Junker“ ins Auge gefasst – und sich innerhalb des Nationalvereins hinter den Kulissen in derselben Art breit gemacht haben, wie man sie heute als staatsgefährlich hinstellt. Zwei hervorragende Redner und Führer dieser Partei führten einmal ein Gespräch, welches ich mit angehört habe. Es war damals, als ich meinen ersten politischen Ausflug als 19-jähriger Student machte, auf der Generalversammlung des Nationalvereins im Jahr 1864. Der eine derselben war unser Kollege Bürgers; er hatte eine fulminante Rede gehalten, und als er den Saal verließ, hörte ich zufällig, wie einer seiner Freunde ihm auf die Schulter klopfte und sagte: „das war zu scharf gesprochen, so dürfen Sie erst sprechen, wenn es gilt, in Berlin auf der Straße das Volk aufzufordern, dass es den Junkern die Köpfe einschlägt.“ Der Herr, der dies sprach, war der Herr Miquel. Ich hatte damals schon republikanische Ansichten, ich war schon Sozialist, und ich habe mir diese Äußerung sofort in mein Taschenbuch notiert; noch heute ist die Szene nicht aus meinem Gedächtnis entschwunden. Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie damals agitiert wurde, und ich glaube, dass jene Art der Agitation schon eine sehr prononcierte zu nennen ist. Aber, wie gesagt, trotzdem ließ man den Nationalverein bestehen; man wusste ja, die Herren waren nicht gefährlich, aber den allgemeinen deutschen Arbeiterverein hat man seinerzeit vernichtet.

Was haben wir weiter gesehen, was kann nach dieser Auflösung, nachdem auch fast sämtliche Gewerkschaften vernichtet waren, sämtliche Streikvereine, selbst solche, die keine Politik getrieben hatten? Der Reichskanzler Fürst Bismarck sagte uns, gerade für solche Vereine, welche sich auf dem Boden der heutigen Gesellschaft stellten, welche nicht das Eigentum bekämpften, sondern bloß höheren Lohn und geringere Arbeitszeit erstrebten, habe er Sympathie. Nun, trotzdem haben wir gesehen, dass schon im Jahr 1874 alle Vereine der Art, soweit sie nur mit bekannten Sozialisten irgendwie in Verbindung standen, aufgelöst sind, und die wenigen Vereine, welche noch weiter bestehen – unser Kollege Fritzsche wird Ihnen darüber Klarheit verschaffen – werden gegenwärtig, noch ehe das Sozialistengesetz erlassen ist, in einer Weise schikaniert und drangsaliert, es wird ihnen der Strick derart um die Kehle gelegt, dass sie vielleicht noch früher ihr Ende finden werden, als dieses Gesetz Rechtskraft erlangt.

Was kam also, nachdem die Arbeitervereine unterdrückt, vernichtet worden waren? Da kam das berühmte Camphausen[6]-Achenbach[7]-Bismarcksche Rezept. Im Reichstag und Abgeordnetenhaus haben diese Herren die Erklärung abgegeben, dass die Arbeiter in Deutschland zu hohe Löhne verdienten; dies geschah in einem Augenblick, wo die Arbeiter bereits am Hungertuch nagten, wo im Rheinland nicht in einer Stadt, sondern in mehreren der Fall vorgekommen ist – er ist vorgekommen in den Städten Essen, Dortmund und Remscheid – dass Kinder in den Schulen Erbrechen bekamen, und man fand, dass diese armen Kinder deswegen erkrankt waren, weil sie als Nahrung nur noch Kartoffelschalen hatten. Es ist das amtlich festgestellt worden und ist von mir auch in Versammlungen erklärt worden, ohne dass man eine Anklage wegen Verbreitung falscher Tatsachen gegen mich hätte erheben können. In industriellen Städten ereignete sich dies dort, wo die Arbeiter durch die Großindustrie angeblich leidlich gut gestellt sein sollten – sie sind es allerdings nicht. Die Verhältnisse waren also schon traurig genug, die Arbeitstage waren längst in der Woche auf 4 bis 5 beschränkt, der Lohn war teilweise auf die Hälfte, teils auf zwei Drittel herabgedrückt worden, das größte Elend herrschte. Und was hörten wir damals von der Tribüne aus? Dass die Erklärung gegeben wurde: nur dann wird das deutsche Volk konkurrenzfähig, wenn die Löhne herabgesetzt werden. Hatten die Fabrikanten sie noch nicht herabgesetzt, dann wurde die Erklärung der arbeiterfreundlichen Regierungsherren sofort mit Jubel aufgenommen; wie ein Lauffeuer ging es durch Deutschland hindurch, überall wurde das Massenelend größer bis zu dem Punkte, zu welchem man bis jetzt gelangt ist.

Dies war das Camphausen-Achenbach-Bismarcksche Rezept, welches die Herren auch bei den Arbeitern der Staatsbergwerke in Werk gesetzt haben, und was war die weitere Folge? Die Folge war, dass die Arbeiter aufhörten bei der mangelhaften Ernährung, die frühere Arbeit leisten zu können. Noch billiger und schlechter wurden die deutschen Waren von diesem Augenblick an, und zwar so schlecht, dass im gegenwärtigen Augenblick jedermann anerkennt, dass die deutsche Industrie gut tat, nicht zur Ausstellung nach Paris zu gehen, weil sie ganz gewiss dort eine ähnliche Niederlage wie in Philadelphia erlitten haben würde. Gerade diese Niederpressung der Löhne, bis auf den letzten Hungerlohn, hat es dahin gebracht, dass wir jetzt mit der Industrie soweit gekommen sind, dass sie absolut nicht mehr konkurrenzfähig ist, sofern es sich um bessere Ware handelt. Deshalb waren es sogar merkwürdigerweise Sozialisten, welche das Interesse der Arbeiter nicht nur, sondern auch das der Fabrikanten in dieser Frage gewahrt haben.

Was kam nun weiter an Regierungsfreundlichkeit? Dem Camphausenschen Rezept ließ man das Eulenburgsche[8] Rezept folgen, den so genannten Sozialistenparagrafen, welcher gelegentlich der Beratung der Strafprozessnovelle vorgetragen wurde, und die berühmte Rede des Herrn Ministers, d.h. des früheren Ministers des Innern, sie schloss mit den Worten, dass die Zeit kommen wird, wo die Flinte schießt und der Säbel haut. Man stellte also den Barrikadenkampf in Aussicht. Diese Freundschaft den Arbeitern gegenüber, dass man sie also hinschlachten wolle auf den Straßen, dieser Appell an den Bürgerkrieg, ist damals bereits ausgesprochen worden. Nun frage ich, wie kommt man dazu, jetzt das Sozialistengesetz von sogenannten sozialistischen Ausschreitungen herleiten zu wollen, jetzt das Sozialistengesetz damit begründen zu wollen, dass die Sozialdemokratie die Gewalt plant, wenn bereits vor zwei Jahren und mehr hier in dem gesetzgebenden Körper die Flinte und der Säbel paradiert haben als „letztes Mittel“ gegen die Arbeiterbevölkerung. Ich denke, die Aufreizung ist anderwärts als bei den Arbeitern zu finden, und der Appell an den Bürgerkrieg desgleichen.

Jetzt kommt endlich als letztes Mittel, um die Arbeiter zu beglücken, das gegenwärtige Sozialistengesetz. Nun, meine Herren, wenn man das Eigentum untergraben will, dieses Sozialistengesetz ist ein Präzedenzfall dazu. Stellen Sie sich vor, es sein eine gewaltsam soziale Revolution gekommen; die Arbeiter fragten sich, was sie mit den Fabriken und dem großen Grundeigentum beginnen wollten. Was würden da die eifrigsten und erbittertsten Kämpfer und Revolutionäre vielleicht in Vorschlag bringen? – Sie könnten einfach zurückgreifen auf dieses Sozialistengesetz, auf jene Paragrafen, die unser Kollege Fritzsche Ihnen vielleicht späterhin bei § 1a, b und c noch weiter erläutern wird. Es würden dann die Erklärung vielleicht abgegeben werden: zunächst stellen wir die Fabrikanten unter eine sozialistische Kontrolle, wir sorgen dafür, dass die Arbeiter nicht nur einen bestimmten Lohn in den Fabriken bekommen, sondern dass sie auch einen Anteil am Geschäftsgewinn, gerade so wie man hier die Arbeiterklassen unter eine polizeiliche Kontrolle stellt. Das eine sieht genau so aus wie das andere. Sie würden dann weiter sagen: wenn die Fabrikanten und Großgrundbesitzer nicht damit einverstanden sind, wenn sie sich dagegen auflehnen und widerspenstig zeigen, dann nimmt man einfach die Fabrik in Beschlag und verwandelt sie in eine Assoziation. Sie sehen also, was hier als Konfiskation der Arbeiterklassen auftritt, das würde sich von einer sozialistischen Revolution, die mit allen Schrecken auftritt, die das bisherige Eigentum ganz außer Augen lassen und in gewalttätiger Weise vorgehen würde, kaum unterscheiden, da würde sich dieses schärfste und gewalttätigste Mittel nur als eine Kopie des Sozialistengesetzes herausstellen.

Und wenn die Sozialisten dann sagten, wir berufen uns auf das Sozialistengesetz, denn was dem einen recht ist, das ist dem anderen billig, wie mit unseren Arbeiterhilfskassen verfahren wurde, so verfahren wir mit dem Besitz des großen Grundherrn im Lauenburgischen[9], welcher ihm sowieso von dem Volk geschenkt wurde, nun dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn es dann heißt: heute mir, morgen dir.

Die liebenswürdigen Bestrebungen der Regierung werden uns nicht dadurch versüßt,. dass man von Seiten der konservativen Partei in der jetzigen Debatte nicht nur einmal, sondern mehrmals uns zugerufen hat, man beabsichtige humanitäre Bestrebungen für die Arbeiter. Ich weiß zur Genüge, worin diese humanitären Bestrebungen für die Arbeiter bestehen werden. Man wird zunächst jeden Arbeiter, der eine selbständige Meinung äußert, sofort brotlos machen und aus der Fabrik oder aus dem Gute hinaus maßregeln. Man tut dies schon heute. Man sagt zwar immer, der Klassenhass werde nur von einer Seite geschürt, von den Arbeitern. Aber ich versichere Sie, meine Herren, jeder Arbeiter, der einmal einem solchen Großkophta gegenüber aufzutreten wagt, jeder, der es wagt, bei einer Krankenkassenverhandlung, bei einer Knappschaftsverhandlung ein freies Wort zu führen, und sei es noch so berechtigt, der an der Spitze seiner Kameraden für Lohnerhöhung auftritt, er wird sofort für einen Aufwiegler erklärt, wenn nicht für einen sozialistischen Aufwiegler, und aus der Arbeit entlassen. Die Agitatoren der Sozialdemokratie, die aus dem Arbeiterstande hervorgegangen sind, sind fast sämtlich gemaßregelte Arbeiter; sie haben nicht ihre Arbeit und ihr Handwerk an den Nagel gehängt, sie sind vielmehr bei irgend einer Frage für die Mitarbeiter aufgetreten, und dann, weil sie in irgend einer Weise opponiert hatten, ein für allemal brotlos gemacht. Sie fanden kein anderes Brot; die Mitarbeiter sagten, tretet ein für uns, führt für uns das Wort, leitet unsere Kassen und unsere Vereine, und wir wollen euch dafür Entschädigung gewähren. In dieser Weise sind die „Agitatoren“ entstanden, und das wird in doppeltem und dreifachem Maße in Zukunft der Fall sein. Es wird die Zahl der Gemaßregelten, also der Agitatoren, sich vermehren, sie werden mehr Not leiden und umso mehr sich klar werden über die Absichten der Regierung und der Bourgeoisgesellschaft. Das sind die humanitären Bestrebungen. Man wird noch mit anderen kommen. Man hat uns schon Flinten und Säbel in Aussicht gestellt, man wird wohl auch noch mit Kartätschen kommen, um dem Werk die Krone aufzusetzen. Man hat uns auch die Gefängnisse in Aussicht gestellt; es ist gewiss humanitär, wenn man dafür sorgt, dass die Arbeiter keine Not leiden, und im schlimmsten Fall nicht nur die Politiker, welche auf der Bresche stehen, sondern auch die arbeitslosen Arbeiter ihren Erbsenbrei dort zu essen haben. Das sind die humanitären Bestrebungen. Man wird auch behaupten, man wolle Fabrikkassen gründen usw. Nun, man will ja die Vereinskassen der Arbeiter kontrollieren, konfiszieren und beiseite schaffen. Da sind solche denn ein schöner Ersatz. Aber verlassen Sie sich darauf, solche Kassen sind bei den Arbeitern zu genau gekannt und verhasst. Diese Knappschaftskassen stehen bei den Bergleuten in dem schlechten Geruch, weil die Arbeiter sie nicht selbst verwalten können, und daher Leute an der Spitze stehen, welche sich nach oben hin beliebt zu machen suchen, statt die Interessen ihrer Kameraden zu vertreten. Deshalb bedanken sich die Arbeiter – nicht nur die Bergleute, sondern auch die anderen Arbeiter schönstens für derartige humanitäre Bestrebungen, welche vielleicht noch in Volksküchen u. dgl. Almosen gipfeln werden. Nein, nicht Almosen verlangen wir! Wir verlangen Menschenrecht für das arbeitende Volk und nicht mehr und nicht weniger. Aber dieses Menschenrecht voll und ganz.

Nun wird man sagen, was wollt Ihr Sozialisten denn beginnen? Wir sagen, wir stehen mit verschränkten Armen der Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft gegenüber, wir wünschen, dass die Gesellschaft sich ruhig und friedlich entwickle. Alsdann muss man den Bestrebungen der Arbeiter aber freien Raum lassen, dann muss man die Arbeiter sich in Gewerkschaften organisieren lassen. Aus diesen Gewerkschaften werden später die Kerne entstehen, welche sich umwandeln können in Produktivassoziationen. (Ruf: Schluss!)

Ich werden schließen, sobald ich es den Arbeitern und meinen Wählern gegenüber verantworten kann, nicht eher und nicht später. (Ruf: Zur Sache!)

Dies gehört zu §1. §1 bezieht sich auf die Ächtung aller sozialistischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Bestrebungen.

Ich bemerke nochmals, sobald die sozialistischen Bestrebungen der Arbeite ruhig ihren Verlauf nehmen können, werden sie sich in der Weise entwickeln, dass die Arbeiter Gewerkschaften gründen und sich in ruhiger Weise durch alle Arbeiterkategorien hindurch organisieren; es wird, wie es schon jetzt der Fall ist, von den Gewerkschaften teilweise als der Versuch mit kleinen Assoziationen vorgegangen werden, man wird die Leute schulen und disziplinieren, und innerhalb dieser Gewerkschaften wird dann sich ein tüchtiger Stamm bilden, welcher fähig ist, sobald die öffentliche Meinung und Überzeugung dies verlangt, einen Stamm von Produktivassoziationen zu bilden, die gemeinschaftlich die Produktion leiten und organisieren, einen Arbeiterkern, der fähig ist, ohne Zuckungen die Gesellschaft eine sozialistische umzuwandeln. Es wird unter solchen Verhältnissen das bestehende Eigentum nicht angetastet zu werden brauchen, die Arbeiter werden durch Entwicklung ihrer Organisation zu einer sozialistischen Gesellschaft allmählich sich dasjenige aneignen können, was ihnen jetzt tagtäglich entzogen wird, nämlich die Differenz zwischen ihrem Arbeitslohn und ihrem Arbeitsertrage.

Wir ersehen aus der gegenwärtigen Entwicklung der Staaten, dass der friedliche und gesetzliche Weg aber in keinem Lande, von keiner Großmacht beliebt wird. Die herrschenden gewalthabenden Klassen – wie in den Motiven der Regierung und in den bezüglichen Reden offen gesagt ist – sie erblicken in einer solchen friedlichen Entwicklung eine Untergrabung der bestehenden Gesellschaft; sie wollen die friedliche Entwicklung nicht, sie werfen den Fehdehandschuh hin und erklären, es würden niemals die herrschenden Klassen, es würden niemals die Regierungen dieselbe sich gefallen lassen; dafür habe die Regierung Kanonen und Bajonette.

Die Regierungen also sind es – nicht etwa die Arbeiter – welche den Weg der Gewalt beschreiten wollen, die Regierungen sind es, welche den Sozialismus zum revolutionären Sozialismus machen. In Frankreich sind die sozialistischen Arbeiter in jener Richtung revolutionär, dass sie sagen, es muss vor einer vollständigen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse eine geistige Revolution stattfinden. Diese friedliche geistige Revolution der herrschenden öffentlichen Meinung will man durch dieses Gesetz vom Feld der Öffentlichkeit auf das Gebiet geheimer Verbindungen drängen; die Ursache des hieraus Erwachsenden sind die Regierungen, sind die Machthaber. Ich selbst habe schon lange gewusst, dass es dahin kommen würde, ebenso wie die Anhänger von Blanqui in Frankreich und die Freunde von Bakunin in Russland sich sagen: es ist nichts zu hoffen von dem alten Polizeistaat. – „Es ist nichts zu hoffen von einer anderen Entwicklung als der Entwicklung der Gewalt“, - ja meine Herren, so sprechen die Herren, die hier auf der Bank des Bundesrates das Wort führen, die Herren Minister, der Fürst Reichskanzler. Sie behaupten, „die Sozialdemokratie könne von nichts anderem einen Erfolg erwarten, als von einem gewaltsamen Umsturz des Bestehenden“; die Sozialdemokratie soll vernichtet oder auf diesen Weg hinausgetrieben werden. Dass es einmal so kommen würde, dass man die Bilder Louis Napoleons und Mac-Mahons hier als Ideale hinstellte, haben ich und meine Freunde lange erwartet. Wir wollen hier nicht diejenigen sein, welche das Volk in einen Kampf hineintreiben, wir denken an einen solchen nicht, ohne die schweren Leiden vorauszusehen, ohne die Not und das Elend, welches Blutvergießen im Gefolgen hat, an unserem Geiste vorübergehen zu lassen. Wir wollen es nicht. Aber wie gesagt, es sind die Machthaber, die herrschenden Klassen, sie proklamieren jetzt offen die Gewalt. Sie wollen das Proletariat zu einem geächteten Proletariat machen.

Nun hat man uns hier gesagt, wenn ihr Sozialisten den Kampf nicht wollt, dann werden eure Hintermänner ihn wollen und beginnen. Ich erkläre offen und frei, ich persönlich habe nicht nötig, auf Hintermänner zu warten; wenn man das Volk zur Verzweiflung bringt, werde ich wissen, wo ich zu stehen habe, ob auf Seiten des Volks oder auf Seiten der Regierung; und da werde ich stehen in Mitte der Reihen des Volks, und wenn ich auf dem Feld der Ehre auch nötigenfalls mein Blut lassen muss! Alle meine Freunde, alle Sozialisten, welche schon jetzt auf der Bresche stehen, werden mit mir dies Opfer bringen, wenn es nötig ist. Deshalb braucht man nicht zu erwarten, wenn die gewalthabenden Klassen uns zum Kampf zwingen und provozieren und die Verzweiflung die Arbeiter auf die Barrikaden treibt, dass wir uns zurückhalten würden, dann wissen wir auch Freiheit und …

(Glocke des Präsidenten. Redner sucht weiter zu sprechen.)

Präsident: Ich muss den Herrn Redner unterbrechen. Ich glaube, er geht augenblicklich über die Grenzen der parlamentarischen Diskussion hinaus, indem seine Ausführung nahezu an die direkte Provokation zum Aufruhr streift. (Sehr richtig!)

Abgeordneter Hasselmann: Ich antworte hier auf die vielen Provokationen, die vom Fürsten Bismarck ausgegangen sind. Ich bemerke, dass Fürst Bismarck die Sozialdemokratie als eine Art Banditenrotte, welche Dolche schleift, hingestellt hat; er hat gesagt: „Wenn wir in einer solchen Weise unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen existieren sollen, dann verliert jede Existenz ihren Wert.“ – und er sprach ferner davon: „auf dem Schlachtfeld der Ehre werde er nötigenfalls sein Leben lassen.“ Nun, demgegenüber erklären wir, dass, wenn man für uns nicht Dolche, sondern Bajonette schleift – wir schleifen keine Dolche für den Fürsten Bismarck, wir verachten den Doch, der von hinten trifft; wenn wir kämpfen, kämpfen wir Brust an Brust – aber wenn man für uns Kugeln gießt und Bajonette schleift, dann sagen auch wir: wenn wir in einer solchen Weise unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen existieren sollen … (Große Erregung. Glocke des Präsidenten. Redner sucht weiter zu sprechen.)

Präsident: Ich wiederhole nochmals, diese letzten Reden grenzen an die direkte Provokation zum Aufruhr, und ich rufe deshalb den Herrn Abgeordneten Hasselmann zur Ordnung. (Lebhaftes Bravo.)

Abgeordneter Hasselmann: Nicht ich bin es, der provoziert; ich habe zur Genüge gesagt, dass ich den Weg des Friedens vorziehe. (Heiterkeit.) Ja, ich ziehe ihn vor, ich bin aber auch bereit, mein Leben zu lassen; nochmals sage ich das!

Und Fürst Bismarck möge auch einmal an den 18. März 1848 denken!

[Der Präsident übergibt das Wort an den nächsten Abgeordneten.]

Fußnoten

[1] Das „Bild zu Sais“ stammt aus einer Ballade Schillers. Ein Mann kommt bei der Suche nach der Wahrheit nach dem Orte Sais in Ägypten, wo er auf ein verhülltes Bildnis trifft, wohinter sich nach Aussage des dortigen Priesters die Wahrheit verberge und des Enthüllung gesetzlich verboten ist. Der Mann lüftet heimlich den Schleier – jedoch ist die Wahrheit, die sich ihm darbietet, alles andere, als erfreulich.

[2] Patrice de Mac-Mahon (1808-1893): frz. Marschall, führte die frz. Truppen in der Schlacht bei Sedan, war Befehlshaber der Truppen, die die Pariser Kommune niederschlugen. 1873-1879 Präsident der frz. Republik.

[3] Agiotage: Spekulation.

[4] Konduite: Führung, Betragen

[5] Hermann Ernst Christian Tessendorf (1831-1895): preußischer Jurist, 1867 erster Staatsanwalt in Magdeburg, später Staatsanwalt in Berlin und Senatspräsident in Königsberg und Naumburg, 1886 Ober-Reichsanwalt am Reichsgericht in Leipzig.

[6] Otto von Camphausen (1812-1896): 1869-1878 preußischer Finanzminister.

[7] Heinrich von Achenbach (1829-1899): preußischer Beamter, u.a. 1879-99 Oberpräsident von Brandenburg

[8] Botho Wendt August Graf zu Eulenburg (1831-1912): preußischer Jurist, 1878-81 preußischer Innenminister

[9] Anspielung auf Bismarck, der im Herzogtum Lauenburg große Ländereien besaß.