Der Nutzen von Streiks nach sozialdemokratischer Anschauung

Magdeburgische Zeitung Nr. 395, 7. August 1890

Berlin, 6. August. Die Zahl der Arbeiterblätter, welche in der Streikfrage gegen Bebel Partei nehmen, mehrt sich. Der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ und der Magdeburger „Volksstimme“ gesellt sich neuerdings der in Hamburg erscheinende „Zimmerer“ zu, welcher als das Organ des Verbandes deutscher Zimmerleute eine weite Verbreitung findet. Das Blatt befleißigt sich allerdings dem „Führer“ gegenüber einer gemäßigten Sprache, auch wird nirgends direkt auf die Bebelsche Rede Bezug genommen; dennoch ist der Zweck des betreffenden Artikels unverkennbar. Den sehr umfangreichen „Die Arbeitseinstellungen“ überschriebenen Auseinandersetzungen mögen einige prägnante Sätze entnommen werden: „Es wäre ein Unsinn und eine Anmaßung, wenn man glauben wollte, die Arbeiterklasse in allen Kulturländern tappe zwecklos im Finstern, statt dass man in den Streiks nur eine naturgemäße Äußerung des Klassenbewusstseins der Arbeiter erkennen sollte. … Die tiefe Bedeutung der Streiks liegt darin, dass sie ein unwillkürlicher Ausfluss der durch die Ausbeutung und Bedrückung hervorgebrachten Stimmung sind und, einmal vorhanden, diese Stimmung in klares Bewusstsein mit vorgestecktem Ziele verwandeln und zugleich die Bedingungen zur Erreichung dieses Zieles verwirklichen helfen. … Das Klassenbewusstsein wird vermittels der Arbeitseinstellungen wie folgt entwickelt: 1) Die indifferente Klasse der Arbeiter begreift im Falle der Arbeitseinstellung, dass absolut unvereinbare, einander durchaus widerstrebende Interessen zwischen Kapital und Arbeitskraft vorliegen. 2) Bei Arbeitseinstellungen sind die Arbeiter auf die Hilfe ihrer Genossen angewiesen. Das Gefühl der Brüderlichkeit, das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit greifen Platz und senken sich tief in die Herzen und Geister. 3) Die Arbeiter lernen sich organisieren, lernen einheitlich auftreten, lernen sich als soziale Macht der sozialen Kapitalmacht gegenüber fühlen. Wer das alles überlegt, der wird zugeben müssen, dass die Streiks ihre Berechtigung haben. … Man muss anerkennen, dass die Arbeiterklasse im richtigen Klassendrang handelt, wenn sie ein allen Kulturländern zu den Streiks greift. … Die Streiks mit einem Wort – so schließt der Aufsatz – sind geschichtlich ebenso, wie noch vieles andere notwendig zum Übergangsstadium, zur wahren, der ganzen Menschheit gerecht werdenden Gesellschaftsform.“