Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands.

An die Bruderparteien und Gesinnungsgenossen aller Länder, welche an den Kongress der deutschen Sozialdemokratie Begrüßungs- und Zustimmungsschreiben gerichtet haben.

Zitiert nach: Laufenberg, Heinrich: Geschichte der Arbeiterbewegung in Hamburg, Altona und Umgegend. Zweiter Band. Reprint der Ausgabe von 1931. Bonn-Bad Godesberg 1977, S. 199-202

Genossen, Brüder!

Die auf dem Kongress versammelt gewesenen Vertreter der sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands danken Euch herzlich für Eure brüderlichen Wünsche und Zustimmungsbezeigungen und geben Euch die Versicherung, dass die deutsche Sozialdemokratie wie seit ihrem Beginn so auch ferner unverändert und unwandelbar auf ihrem Posten im Vordertreffen des Kampfes für die Befreiung des unterdrückten und ausgebeuteten Volkes ausharren und mit Tatkraft, Besonnenheit und Ausdauer den Vernichtungskampf gegen die heutige wahnsinnige, verbrecherische Staats- und Gesellschaftsordnung führen wird. Die Beratungen zu Wyden und deren nächste und weitere Folgen werden Euch überzeugen, dass die deutsche Sozialdemokratie ungebeugt von den Verfolgungen einer infamen Regierung und einer nicht minder infamen Bourgeoisie und ihnen zum Trotz die Alte geblieben ist, die Alte wie an Umfang und Einfluss, so auch an Prinzipientreue und revolutionärer Tatkraft.

Der Kongress hat die Liquidation der alten, durch schändliche Ausnahmegesetze zerstörten Parteiorganisation beendigt, die durch die brutale Faust der Polizei teilweise zerstörten Fäden zum größten Teile wieder angeknüpft, die im ersten Ansturm der Reaktionswillkür unter der gewaltigen Wucht der durch den Attentatswahnsinn irregeleiteten Volksmeinung erlittenen Verluste wieder ausgeglichen gefunden. Er fand zu seiner Freude die alte bewährte, durch den Abgang einer Handvoll Abtrünniger und Unzuverlässiger nur gestärkte und durch viele Neugeworbene vergrößerte Kämpferschar wieder wohlgeordnet, gesammelt, und in ihr die alte opferwillige Hingebung für die Sache und das ungeduldige Verlangen nach Wiederaufnahme einer kräftigen Offensive gegen den durch seine Misserfolge erschreckten und an seiner Allmacht irre gewordenen Feind.

Zugleich fand er auch die Umstände für eine Wiederaufnahme des Angriffs überaus günstig: den Fäulnisprozess der alten Gesellschaft, die Abwirtschaftung der alten Parteien mächtig fortgeschritten und die Stimmung des ernüchterten, über seine Irreführung empörten und in seinem wachsenden Elend an der Möglichkeit einer Hilfe durch die alte Ordnung mehr und mehr verzweifelten Volkes wesentlich zu unseren Gunsten umgeschlagen.

Angesichts dieser Tatsachen konnte der Entscheid der Vertreter der Partei nicht zweifelhaft sein. Ihre Pflicht und dem Willen ihrer Auftraggeber getreu, entschieden sie sich für energische Wiederaufnahme der aktiven Parteitätigkeit auf allen Gebieten; und da dieselbe unter dem heutigen Willkürsystem ungesetzlich ist, und um auf die von unseren Bedrückern gegen uns geschleuderte schamlose Acht- und Rechtloserklärung die entsprechende Antwort zu geben, hat der Kongress aus dem Gothaer Programm die Stelle, welche davon spricht, dass wir unsere Ziele mit allen gesetzlichen Mitteln verfolgen, einstimmig gestrichen.

Nicht zwar, als ob durch diesen Beschluss in der Partei eine neue, von der alten abweichende Lehre eingeführt würde. Denn die erdrückende Mehrheit der Sozialdemokratie hat sich niemals dem Wahne hingegeben, dass sie ihre Grundsätze in aller Friedlichkeit auf rein "gesetzlichem" Wege würde durchsetzen können, das heißt, dass die bevorrechteten Klassen freiwillig und ohne Zwang ihre bevorrechtete Stellung aufgeben würden. Wir haben vielmehr jenen Satz stets in dem Sinne verstanden, dass wir einerseits für Anwendung aller vorhandenen gesetzlichen Mittel, und, wenn auch noch so kleinen Rechts zur Förderung unserer Zwecke, das heißt gegen jede politische Abstraktion – als ein ungeschicktes Beiseitewerfen brauchbarer Waffen – sind; und dass wir andererseits zu einer gesetzlichen friedlichen Lösung der sozialen Frage durch Unterhandlung zwischen den beiden einander entgegenstehenden Klassen und dadurch ermöglichte organische Entwicklung bereit sind, weil wir unseren Lehren die Kraft zutrauen, auch bei nur einiger Bewegungsfreiheit im geistigen Kampf den Sieg zu erringen. Daran aber, dass wir, wenn uns die herrschenden Klassen jeden "gesetzlichen" Weg abschneiden, deshalb auf die Durchführung unserer Grundsätze verzichten würden, daran hat noch kein deutscher Sozialdemokrat je gedacht, und es galt von jeher als selbstverständlich, dass uns in diesem – nach den Erfahrungen der Geschichte voraussichtlichen – Fall jedes Mittel recht sein müsse. Will es nicht biegen von oben herab, so muss es brechen von unten hinauf. In diesem Falle befinden wir uns heute in Deutschland. Unsere Gegner, Regierung und Bourgeoisie, sind verblendet genug, jede Möglichkeit einer friedlichen Entwicklung radikal auszuschließen und dadurch die Dinge notwendig und unausbleiblich einem gewaltsamen Ende entgegenzutreiben. Die heutigen politischen und wirtschaftlichen Herrscher Deutschlands wollen keine Unterhandlung, keine Verständigung, sondern Krieg, den Vernichtungskampf. Gut, wenn sie ihn wollen, sollen sie ihn haben, und voll und ganz haben; die Verantwortung auf ihre Häupter! Deshalb war es unsere Pflicht, vor aller Welt die Erklärung abzugeben, dass die deutsche Sozialdemokratie aus der Handlungsweise unserer Gegner die zwingende Folge ziehe, sich an die Faust ihrer Unterdrücker nicht kehren und zur Beseitigung ihrer ganzen heutigen Unterdrückungs- und Ausbeutungsordnung jedes verfügbare, den wechselnden Umständen angemessene und zur Förderung ihrer Ziele geeignete Mittel ergreifen wird.

Das bisherige zielbewusste, besonnene Vorgehen unserer Partei bürgt dafür, dass sie niemals in eine ebenso kindische wie verbrecherische Revolutionsspielerei und Revolutionsmacherei verfallen wird, welche bei der heute noch völlig mangelnden Vorbereitung des Volkes auf eine Umwälzung unsere Sache aufs tiefste schädigen und ihren Durchbruch auf Jahrzehnte zurückwerfen müsste, und das teure Blut unseres Volkes auf das gewissenloseste, frevelhafteste vergeuden würde.

Die deutsche Sozialdemokratie hält es vielmehr für die unumgängliche Vorbedingung einer sozialen Revolution und deshalb für die erste Pflicht eines jeden echten Revolutionärs, durch Ausbreitung unserer Grundsätze im Volke und immer weitergehende Heranziehung desselben in unsere Bewegung, durch rege und ausgebreitete Agitation, durch Erhöhung der Wehrhaftigkeit und Aktionsfähigkeit der zur Führung im bevorstehenden Kampfe berufenen Partei, durch eine einheitliche, stramme Organisation, durch Schwächung der Gegner und Parierung ihrer gegen uns geführten Streiche, durch kluge Taktik die kommende welterschütternde Umwälzung samt deren gewaltsame Äußerungsform mit allen Kräften vorzubereiten. Kommt es dann in unaufhaltsamem Gange schließlich zum äußersten – nun, so werden die deutschen Sozialdemokraten zeigen, dass sie auch ihre Schuldigkeit zu tun wissen, und sie werden dann nicht dem bloßen Zufall vertrauen müssen, sondern wohlgerüstet mit der Aussicht auf Sieg in den Kampf gehen.

In diesem Sinne sind die Beschlüsse unseres Kongresses gefasst.

Es würde eine den veränderten Umständen entsprechende Organisation geschaffen, welche eine wirksame Zusammenfassung aller in der Partei vorhandenen Kräfte bewirkt und deren schnelle Verwendung an jedem Orte ermöglicht.

Im Zusammenhang mit der Organisation wird auch die mancherorts gelockerte, für die Gewähr des Erfolges unumgängliche Parteidisziplin wieder gekräftigt, und werden damit innere Wirren, die infolge der Unterdrückung jeder äußeren Parteitätigkeit, infolge der Selbstsucht und Zügellosigkeit – das ist Most und Hasselmann –, ja noch schlimmerer Eigenschaften einiger früherer Parteimitglieder, und infolge der Schwierigkeit der Verständigung in der Geltendmachung des Parteiwillens hier und da aufgetaucht waren, beseitigt und fürderhin vermieden werden. In der Handhabung dieser notwendigen Manneszucht hat der Kongress die zwei schädlichsten Zwietrachtstifter, obgleich dieselben früher in der Partei eine hervorragende Stellung eingenommen hatten, nahezu einstimmig endgültig aus der Partei entfernt, welche Handlung ihre günstige Wirkung auf die Geschlossenheit der Partei nicht verfehlen wird.

Als hervorragendes Agitationsmittel, namentlich in der heutigen Zeit, wo alle übrige offene Agitation abgeschnitten ist, wurden – wie seit Bestehen unserer Partei – die Wahlen erkannt und deshalb die Teilnahme der Partei an allen (irgendwelche Aussicht bietenden) Wahlen zu Reichstag, Landtag und Gemeinde und namentlich die allgemeinste und entschiedenste Mitwirkung bei den nächstjährigen Reichstagswahlen aus agitatorischer und propagandistischer Rücksicht empfohlen. Zur Reinhaltung des Prinzips und um unsere Trennung von allen übrigen Parteien auf das entschiedenste zu betonen, wurden alle Wahlkompromisse verboten. Man betrachtete als selbstverständlich, dass die sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament jederzeit in energischster Weise für unsere Grundsätze und gegen die herrschende Staats- und Gesellschaftsordnung aufzutreten und die Rednertribüne als Ersatz für die geschlossenen Versammlungen und Vereine zur wirksamen Propaganda im Volke zu benutzen haben.

Als Mittel zur Herstellung der geistigen Verbindung der Parteigenossen, als Vertreter der Partei in der Presse, als Sprechsaal zur prinzipiellen Festigung und Klärung, als Ausgeber des Losungswortes und als Vermittler des geistigen Verkehrs der deutschen Bewegung mit der Bewegung in allen anderen Ländern, kurz als offizielles Parteiorgan wurde einstimmig der bis dahin provisorisch als solches wirkende "Sozialdemokrat" in Zürich erklärt.

Über allen diesen inneren Angelegenheiten der Partei aber wurde der Zusammenhang mit den Bruderparteien der anderen Länder und Sprachen, die Solidarität der sozialistischen Proletarier der ganzen Welt keinen Augenblick vergessen. Die erhebenden Begrüßungs- und Zustimmungsschreiben voll Sympathie und heißen Wünschen für eine gemeinsame Sache, welche Ihr Genossen aus Frankreich und Belgien, aus der Schweiz und aus Ungarn, Ihr niederländischen und italienischen, portugiesischen, polnischen und russischen Brüder sandet, sie wurden mit Begeisterung aufgenommen. Und um die von der deutschen Sozialdemokratie stets bekannte und geübte Internationalität der sozialistischen Bewegung aufs neue und stärker denn je zu betonen und eine regelmäßige und ununterbrochene Verbindung zwischen unserer Partei und den Bruderparteien aller Länder und Sprachen herzustellen, wurde eine auswärtige Verkehrsstelle, die sich Euch hiermit vorstellt und mit Euch in innigen und dauernden Verkehr zu treten begehrt, geschaffen, welche zugleich mit dieser Aufgabe auch den Verkehr der Partei mit den außerhalb Deutschlands befindlichen deutschen Genossen wahrzunehmen hat. Vor allem aber erklärt der Kongress, in der Erwartung, dass die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der vereinigten Proletarier aller Länder sein muss, und dass es zur erfolgverheißenden Führung des von diesen unternommenen Kampfes gegen die alten Mächte der Unterdrücker, dem starken internationalen Bund der Reaktion und des Kapitalismus gegenüber unbedingt eines internationalen Bundes des Proletariats, des Sozialismus bedarf, welcher ein Hand-in-Hand-Gehen aller Sozialisten ohne Unterschied der Sprache und der verschiedenen Schulmeinungen gegenüber unseren gemeinsamen Feinden ermöglicht, einstimmig seine volle Zustimmung mit der Einberufung eines sozialistischen Weltkongresses und beschloss dessen Beschickung.

Genossen, Brüder! Erwägt diese Ergebnisse des Kongresses und prüfet seine Wirksamkeit auf Grund des allerdings notwendig sehr summarischen Protokolls genau, und Ihr werdet die hohe Bedeutung dieses ersten geschlossenen Kongresses der deutschen Sozialdemokratie erkennen und gleich uns mit seinen Ergebnissen für die gemeinsame Sache zufrieden sein. Dessen seid auf alle Fälle gewiss: Wo immer es für die Befreiung des arbeitenden Volkes aus politischer und sozialer Knechtschaft zu kämpfen gilt, da werdet Ihr auch die deutsche Sozialdemokratie auf dem Platze finden, mit Rat und Tat, mit Sympathie und werktätiger Hilfe, kampfesmutig und kampfbereit!

Hoch der internationale Sozialismus!

Im Auftrage des Kongresses: die auswärtige Verkehrsstelle.

Walter [Georg von Vollmar]